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Zdeněk Sýkora in erlesener Gesellschaft

Das Projekt Zdeněk Sýkora in erlesener Gesellschaft knüpft lose an die Ausstellung „Geboren in Louny“ aus dem Jahr 2011 an, deren Schwerpunkt vor allem auf den mit der Stadt Louny verbundenen Aspekten in Sýkoras Leben und Werk lag (Landschaften, Zyklus „Gärten“, die dortigen Freunde, Orte, an denen er gemalt hat). Diesmal möchten wir Zdeněk Sýkora im internationalen Kontext zeigen, in den er schon seit 1965 gehört, als er in Zagreb an der bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst „Neue Tendenzen 3“ teilnahm. Es folgten dutzende kollektive Ausstellungen, bei denen er sich an der Seite damals bereits bekannter, aber auch unbekannter und erst heute berühmter Künstler des 20. Jahrhunderts – Vertreter der abstrakten, konkreten und konstruktiven Kunst sowie der Computerkunst – präsentierte. Zu vielen von ihnen entwickelten sich enge Freundschaften, sie besuchten sich gegenseitig und einige tauschten auch mit ihm ihre Werke aus. Die ausgewählten Bilder, Objekte und Grafiken umfassen solche Namen wie Max Bill, Richard Paul Lohse und François Morellet. Teil der Ausstellung sind auch Anschauungsmaterialien, die für die Besucher in Form von Katalogen zu den Gruppenausstellungen und den einzelnen Autoren bereitstehen. Zweifellos wird dieses Projekt das Wissen über die Einordnung der Werke dieses aus Louny stammenden Künstlers in den internationalen Kontext der bildenden Kunst erweitern.
Ausstellung in Louny, von links: F. Morellet, M. Mohr, Z. Sýkora, K. Martin, Objekt - Z. Sýkora, 2014, Foto (c) Martin
Wie der Titel verrät, präsentiert die Ausstellung Zdeněk Sýkora in einer erlesenen Gesellschaft. Erlesen ist diese Gesellschaft in verschiedener Hinsicht: Namen wie Max Bill (1908-1994), Richard Paul Lohse (1902-1988), Kenneth Martin (1905-1984), François Morellet (1926), Jan van Munster (1939), Manfred Mohr (1938), Manuel Barbadillo (1929-2003), Hiroshi Kawano (1925-2012), Georg Nees (1926), John Roy (1930-2001), Ad de Keijzer (1923-1997), Ad Dekkers (1938-1974), Karl Prantl (1923-2010), Ewerdt Hilgemann (1938), Ryszard Winiarski (1936-2006), Christian Megert (1936), Horst Bartnig (1936), Andreas Brandt (1935), Christoph Freimann (1940), Max Mahlmann (1912-2000), Wilhelm Müller (1928-1999) und Gudrun Piper (1917) sind innerhalb der Kunstszene der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zweifellos anerkannt und dürfen zur Elite gezählt werden. Will man eine verbindende Kategorie für sie finden und ihr Schaffen mit einem kunstwissenschaftlichen Begriff charakterisieren, könnte man sie als Konkrete Kunst bezeichnen (im Sinne der Definition von Max Bill aus dem Jahr 1947). Charakteristisch ist vor allem die Suche nach Objektivität (im Gegensatz zur Subjektivität), der Einsatz konstruktiver oder mathematischer Methoden, die Suche nach einer Ordnung (wobei der Weg dorthin auch der Zufall sein kann) und nach kompositorischen Regeln sowie die Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen den grundlegenden künstlerischen Ausdrucksmitteln, wie Farbe, Licht, Bewegung, Volumen und Raum. Jeder der oben genannten Künstler löst seine eigene kleine Aufgabe auf diesem Gebiet, hat sie sich selbst ausgedacht und gestellt, jeder von ihnen folgt seiner Passion. Das Ergebnis ihres künstlerischen Experimentierens ist eine authentische Handschrift. Auch wenn die modernen Kunsttrends andere Wege beschreiten, so ist doch die Konkrete Kunst schon seit über fünfzig Jahren lebendig und immer neue Künstler schließen sich dieser Strömung an, während andere, genauso alte Ismen längst in der Versenkung verschwunden sind. François Morellet beispielsweise gehört nach wie vor zu den führenden französischen Künstlern, sonst hätte man ihm 2010 wohl kaum die Gestaltung der neuen Fenster des Louvre anvertraut.

Die erlesene Gesellschaft der Künstler, die diese Ausstellung zeigt, wurde nach bestimmten Kriterien zusammengestellt: Zdeněk Sýkora ist ihnen bei Ausstellungen in Museen und Galerien begegnet, er wurde zusammen mit ihnen für verschiedene Projekte, Ausstellungen oder Grafikmappen ausgewählt, er hat sich mit ihnen angefreundet und sie haben sich gegenseitig besucht, oft auch hier in Louny. Zu dieser internationalen Gesellschaft zu gehören, ist für einen Künstler sehr wichtig – es stärkt sein Selbstbewusstsein und das Zugehörigkeitsgefühl, es bestätigt die Richtigkeit des beschrittenen Weges und hilft ihm im Kampf gegen Provinzialismus und Borniertheit. Zu einer solchen Gesellschaft zu gehören, ist aber weder selbstverständlich noch geschieht es über Nacht. Ich habe nach dem Anfang dieser Geschichte gesucht, nach Sýkoras ersten Schritten in die Welt. Obwohl wir dreißig Jahre lang zusammengelebt haben, konnte ich mich beim Entwirren des entstandenen Beziehungsknäuels nicht allein auf mein Gedächtnis verlassen, denn die ersten künstlerischen Kontakte ins Ausland gab es bereits 1964. Ich musste also in unser umfangreiches Archiv eintauchen, die Korrespondenz studieren, dutzende Kataloge und hunderte Fotos sichten. Und obwohl ich viele Begegnungen und neue Beziehungen seit den achtziger Jahren an der Seite Zdeněk Sýkoras persönlich miterlebt habe, haben mir bei der chronologischen Einordnung der Ereignisse am meisten verschiedene Tagebucheinträge und Notizen geholfen.

Eine Schlüsselrolle spielt das Jahr 1964, als Zdeněk Sýkora bei einer Ausstellung des Kunstvereins „Umělecká beseda“ in Prag erstmals seine „Strukturen“ der Öffentlichkeit präsentierte und als in seinem neuen Atelier in Louny in Zusammenarbeit mit dem Mathematiker Jaroslav Blažek mithilfe des Computers die ersten Bilder dieser Art entstanden; das Jahr 1964, als in Prag die erste Ausstellung der Gruppe „Křižovatka“ (Kreuzung) stattfand (Sýkora stellte Strukturen aus, Fremund Landschaften, Kolář Gedichte, Malich Objekte, Mirvald Tuschaquarelle), als Jiří Kolář in Louny ausstellte und die Idee entstand, die Galerie Benedikt Rejt zu gründen, als mehrere Ausstellungen tschechischer Kunst für europäische Museen in Planung waren und auch Sýkoras Werk dafür ausgewählt wurde, als er an seiner Habilitationsvorlesung über die Beziehung von Farbe und Raum in der zeitgenössischen Kunst zu arbeiten begann, als er zum ersten Mal mit Jiří Kolář und Karel Malich nach Paris reiste (sie besuchten auch Šímas Atelier) und als er an einer Zusammenkunft von Schriftstellern und bildenden Künstlern in Alpbach (Österreich) teilnahm. Nach Jahren der Isolation taten sich neue Möglichkeiten auf. 1965 nahm er eine Einladung nach Zagreb (Jugoslawien) zur dritten Fortsetzung der (aus heutiger Sicht überaus) prestigeträchtigen Ausstellung „Neue Tendenzen in der europäischen Kunst“ an. Zwei seiner „Strukturen“ – ein Bild und eine Plastik aus dem Jahr 1963 – wurden per Bahn versendet, während sich Zdeněk Sýkora und sein Freund, der Maler Vladislav Mirvald aus Louny, mit dem Auto auf die lange Reise machten. Im Archiv gibt es viele Aufnahmen von dieser Reise, aber nur ein Foto von der Ausstellung. Aus dem Katalog wissen wir jedoch, dass dort Sýkoras Werke erstmals zum Beispiel auf die Werke Morellets trafen. Damals ahnten jedoch beide noch nicht, dass sie sich einmal auch in ihrem Schaffen so nah sein würden. Während Sýkora für seine „Strukturen“ strenge Regeln festlegte und Objektivität für ihn bedeutete, zufällige Lösungen so weit wie irgend möglich auszuschließen, stand François Morellet bereits für eine Kunst, die mit dem Zufall verknüpft war. Erstmals hingen Sýkoras Werke auch neben Werken von Martin, Piene, von Graevenitz, de Vries, Böhm, Riley, Colombo, Vedova, Bonies, Staudt und Gerstner, denen er später häufig bei Ausstellungen zeitgenössischer Kunst begegnete. Ebenso entscheidend für Sýkoras Einstieg in die internationale Kunstszene war seine Teilnahme an der nicht eben großen, aber dennoch auch sehr wichtigen Ausstellung „Konstruktive Tendenzen aus der Tschechoslowakei“, die 1967 auf dem Boden der Frankfurter Universität stattfand. Diese wurde vom deutschen Journalisten, Kunstkenner und Kurator Hans Peter Riese mitorganisiert, der die tschechische Szene und die dortigen Künstler sehr gut kannte (und selbstverständlich auch Louny besucht hatte) und viel dafür tat, um der tschechischen Kunst zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.

Die Teilnahme an den Ausstellungen in Zagreb und Frankfurt (und natürlich noch weiteren), aber besonders Sýkoras Innovationen im Bereich der Erforschung von Strukturen – die Verwendung des Computers als Hilfsmittel bei ihrer Konstruktion – öffneten ihm die Türen zu weiteren Museen und privaten Galerien, hauptsächlich in Deutschland. In dieser Zeit gab es auch die ersten Kontakte zu den Galeristen Heinz Teufel und Heidi Hoffmann. Die ersten ausländischen Sammler wurden auf ihn aufmerksam und auch Museen erwarben mehrere Bilder für ihre Sammlungen, es wurden die ersten Serigrafien gedruckt. Das Interesse aus dem Ausland belegt auch die immer umfangreichere Korrespondenz: Es finden sich Grußkarten und Briefe von den unterschiedlichsten Künstlern (Domela, Franke, von Graevenitz, de Vries, Malina), Einladungen zu Symposien und Ausstellungen, zahlreiche Bitten um Texte und Fotos, vom Archiv der Biennale von Venedig wurde er ersucht, Thesen über seine Arbeit abzufassen, und auch die internationale Zeitschrift Leonardo begann sich für ihn zu interessieren. Als Vertreter der Tschechoslowakei wurde er (zusammen mit Jiří Kolář und Milan Dobeš) für die Documenta 4 im Jahr 1968 in Kassel ausgewählt, was damals die größte Anerkennung für einen zeitgenössischen Künstler war. Und es folgen weitere wichtige Ausstellungen. 1969 reiste er erneut nach Zagreb zu den „Tendenzen 4“, diesmal jedoch mit Josef Hlaváček, der auf dem Symposium einen Vortrag hielt. Sýkora stellte dort seine Computer-Strukturen aus und eine von ihnen erwarb das Museum in Zagreb für seine Sammlung. Es folgten zwei sehr wichtige Biennalen in Nürnberg, danach Paris, Tokio, Bradford, Avignon und dank Meda Mládková Grafikausstellungen in Oregon und Washington. Insbesondere die Zagreber „Neuen Tendenzen“ präsentierten die verschiedensten Ansichten und Haltungen, stellten neue Trends und Konzepte vor und stellten fachübergreifende Zusammenhänge her. Ein fester Bestandteil der Ausstellungen waren Vorlesungen, Symposien und Diskussionen von Künstlern mit Mathematikern, Komponisten, Schriftstellern und Wissenschaftlern, es kamen immer neue Namen zeitgenössischer Künstler hinzu, darunter auch Pioniere der Computerkunst (einige Jahre später sollten sie sich beim Projekt Album SDL erneut begegnen). Doch was am wichtigsten ist – an diesen Unternehmungen konnte Zdeněk Sýkora persönlich teilnehmen, er konnte Freundschaften knüpfen, Erfahrungen austauschen und sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen. Er reiste gern, hatte keine Probleme zu kommunizieren und war auch sprachlich sehr bewandert (er konnte Deutsch und Französisch und lernte Englisch, weil er in dieser Zeit das Ford-Stipendium erhalten hatte, das er allerdings leider nicht in Anspruch nehmen konnte, weil er 1969 nicht mehr ausreisen durfte). Geduldig antwortete er auf verschiedene Anfragen aus aller Welt, schrieb Texte, so etwas wie persönliche Manifeste, und gab mehrere Interviews. Die Frage ist, wie er das alles bewältigen konnte, denn gleichzeitig arbeitete er an zwei großen Aufträgen für Bauwerke in Prag (an der Verkleidung für eine Wand in der Jindřišská-Straße und für die Lüftungstürme auf dem Berg Letná), er malte dutzende Strukturen und – nicht zu vergessen – er war auch Hochschullehrer in Prag, arbeitete als Dozent. Jedenfalls schien seiner Karriere als internationaler Künstler nichts mehr im Weg zu stehen – er wurde eingeladen, erhielt positive Kritiken, wurde gewürdigt, war geschätzt. Zdeněk Sýkora fand Eingang in eine erlesene Gesellschaft.
Ausstellung in Louny, von links: M. Mohr, Z. Sýkora, F. Morellet, 2014, Foto (c) Martin Polák
1969 hatten jedoch für ihn die Reisen ins Ausland auf lange Zeit ein Ende. Dennoch geriet er auch außerhalb der Tschechoslowakei nicht in Vergessenheit und seine Werke wurden weiter auf wichtigen Ausstellungen gezeigt, obwohl es schwierig war, sie auszuleihen. 1972 schrieb der kanadische Künstler, Verleger und Galerist Gilles Gheerbrant, der das inzwischen legendäre Computerkunst-Album „Art ex Machina“ (1972) publizierte, für das kein Geringerer als Abraham A. Moles den Text verfasst hatte, einen Brief an Zdeněk Sýkora und lud ihn darin zu einer internationalen Computerkunst-Ausstellung in Toronto ein, die von einer kanadischen Datenverarbeitungsfirma gesponsert wurde, ein Jahr später folgte eine Einladung zum Projekt Album SDL (1973). Das Projekt wurde von einer kanadischen Softwarefirma initiiert und die Drucke sollten nicht verkauft werden, sondern waren als Geschenke für Firmenkunden gedacht. Eine Kommission entschied sich für neun Künstler – Pioniere der Computerkunst – aus aller Welt: Manuel Barbadillo, Hiroshi Kawano, Kenneth C. Knowlton, Manfred Mohr, Georg Nees, John Roy, Roger Vilder, Edward Zajec. Und Zdeněk Sýkora. Im Album sind nicht nur Kunstdrucke zu finden, sondern auch Programme und mathematische Beschreibungen des Vorgehens der einzelnen Künstler. Über diese Ausgabe informierte auch die amerikanische Zeitschrift „Datamation“, die damals eine Auflage von 100 000 Exemplaren hatte und von Computerfans in der ganzen Welt gelesen wurde. Die Grafiken sollten in Kanada signiert werden und die Firma trug die Reisekosten. Wahrscheinlich überrascht es nicht, dass Sýkora der Einzige war, der nicht anreisen konnte und das Album in Prag signierte, wohin der Galerist einen Kurier geschickt hatte. In diesem Album begegnete er erstmals virtuell Manfred Mohr, den wir erst 1989 in Amsterdam persönlich kennengelernt haben. Später trafen wir ihn in der Galerie Heinz Teufel in Mahlberg zusammen mit seiner Frau, der Mathematikerin Estarose Wolfson. Manfred Mohr war einer der ersten Künstler, die schon in den achtziger Jahren ein Bild von Sýkora wollten. Vermittler war Gilles Gheerbrant. Ihn trafen wir erst 1988 zum ersten Mal. Damals erzählte er uns, dass er aus Wien kommend in Brno ausgestiegen war, um sich die berühmte funktionalistische Architektur anzusehen, und zu seiner Überraschung stieß er auf Plakate, die zu einer Retrospektive Zdeněk Sýkoras im Haus der Kunst einluden. Er eilte also von Brno nach Louny. Damals begann unsere Freundschaft. In seiner Person hatten wir einen weiteren guten Engel gefunden, der uns mit der ganzen Welt verband. Der Austausch von Bildern mit Manfred Mohr hat zwar nie stattgefunden, aber unsere Beziehungen blieben freundschaftlich und voller Bewunderung und Respekt. Manfred und Estarose haben uns auch in Louny besucht. Sie waren ganz erstaunt über den Ausblick aus dem Atelier auf die Berge des Böhmischen Mittelgebirges. Vor einigen Jahren machten wir sie mit unserem Freund Miroslav Velfl bekannt, der seine Sammlung konkreter Kunst um Werke von Mohr bereicherte. Für die Ausstellung in Louny haben wir aus dieser Sammlung zwei Bilder – P-021/387 (1970-87) und P-411-D (1988) – ausgeliehen, die die typische Handschrift dieses führenden Vertreters der Computerkunst tragen.
Ausstellung in Louny, von links: F. Morellet, J. van Munster, Z. Sýkora, 2014, Foto (c) Martin Polák
Auch der niederländische Künstler Jan van Munster wollte gern ein Bild von Sýkora, konkret das Bild „Linien Nr. 45“ (1987), dem wir den Arbeitstitel „Fledermaus“ gegeben hatten, und weil sich Künstler in der Regel keine Bilder von Kollegen kaufen, tauschten wir dieses Bild gegen die Neoninstallation Between plus and minus (1981), ein charakteristisches Werk aus der Periode, als die Spannung zwischen Plus und Minus, zwischen der Vorstellung von warmem Licht und der Kälte des Neonlichts das persönliche Thema Munsters war, und wie immer hing es mit den persönlichen Parametern des Künstlers zusammen (hier konkret mit der Größe). Wie er mir in seiner begeisterten Reaktion darauf, dass er für diese Ausstellung ausgewählt worden war, schrieb, haben die „Linien“ einen Ehrenplatz in seinem neuen Haus erhalten. Wir kennen uns schon über zwanzig Jahre. Kennengelernt hatten wir uns in der Amsterdamer Galerie Art Affairs. Die Besitzerin dieser Galerie, Antoinette de Stigter, ist zwar keine Künstlerin, aber ihre Rolle im künstlerischen Leben Zdeněk Sýkoras darf hier keinesfalls übergangen werden. Vor allem hatte sie ihn 1974 gebeten, an einem Symposium in der kleinen niederländischen Stadt Gorinchem teilzunehmen, wo sie damals das städtische Kulturzentrum leitete. Ziel dieser Aktion war es, „die Kluft zwischen den Einwohnern und der Kunst mithilfe einer intensiven und direkten Konfrontation mit bildender Kunst in ihrer vertrauten Umgebung zu überbrücken“. Es wurden sechzehn Künstler aus ganz Europa eingeladen – Kenneth Martin, François Morellet, Ad de Keijzer, Marinus Boezem, Ad Dekkers, Karl Prantl, Ewerdt Hilgemann, Getulio Alviani, Ryszard Winiarski, Panamarenko, Kees Franse, Christian Megert, Lev Nusberg, Uli Pohl, Herman de Vries und Zdeněk Sýkora –, um einen Entwurf für den öffentlichen Raum dieser Stadt zu erarbeiten. Sie sollten persönlich vor Ort ein Kunstwerk gestalten, an dem einheimische Firmen als Sponsoren beteiligt waren. Wieder durfte Zdeněk Sýkora seine Heimat nicht verlassen – seine Institutskollegen fürchteten, er könnte die Studierenden sonst negativ beeinflussen. Es wurde aber nach seinem per Post eingeschickten Entwurf das Pflaster einer Bushaltestelle gestaltet (2005 restauriert und an einer anderen Stelle verlegt). Als Bonus zu dieser Aktion entstanden ein Katalog und auch eine Grafikmappe, die die Arbeiten aller Autoren vereinten und den schlichten Titel Symposion Gorinchem (1975) trugen. Auch diese Mappe konnte Sýkora nicht persönlich entgegennehmen und vor Ort signieren – der niederländische Tennisspieler Siebe Huizinga, der zu einem Turnier in die Tschechoslowakei kam, musste es ihm nach Prag mitbringen. Antoinette de Stigter war von dem Werk Zdeněk Sýkoras so begeistert, dass sie ihm gleich 1977 eine Ausstellung anbot. Doch die Bedingungen der Agentur Art Centum, die damals das Monopol für die Ausfuhr von Kunstwerken besaß, waren für sie völlig inakzeptabel. Dennoch gab sie nicht auf und reiste 1978 in die Tschechoslowakei (angeblich mit der ersten Lufthansamaschine nach der Wiedereinführung der Fluglinie nach Prag), um Zdeněk Sýkora in seinem Atelier zu besuchen. Sie war damit die erste Galeristin, die die „Linien“ mit eigenen Augen sah (die ersten waren 1973 entstanden). Wie sie später sagte, war sie „von den Arbeiten überrascht, die er in maximaler Isolation und mit einer atemberaubenden Konzentration Jahr für Jahr geschaffen hatte“. Zdeněk Sýkora konnte leider auch nicht bei der ersten Ausstellung seiner „Linien“ (1979), die zudem eine Einzelausstellung war, anwesend sein, weil er noch immer an der Fakultät in Prag angestellt war und seine Kollegen ihre Meinung nicht geändert hatten. Die Ausstellung hatte Erfolg und die „Linien“ begannen ein Eigenleben zu führen – sie reisten in die Schweiz, später zum Beispiel ins Josef-Albers-Museum nach Bottrop, in die Galerien Heinz Teufel und Art Affairs und im Jahr 2005 sogar ins Centre Pompidou in Paris und ins Museum der Moderne in Salzburg. Bei der feierlichen Übergabe des prestigeträchtigen Herbert-Boeckl-Preises für sein Lebenswerk im Salzburger Museum schloss sich gewissermaßen der Kreis: Der österreichische Sammler und Kunstkenner Dieter Bogner erinnerte sich in seiner Laudatio, wie er einst 1979 auf der Reise nach Rotterdam mit seiner Frau Gertraud mehr oder weniger zufällig nach Gorinchem abgebogen war und dort zum ersten Mal Sýkoras „Linien“ sah. Sie hätten sich sofort verliebt. Bald darauf kauften sie ein Bild, das sich heute in der Sammlung des Wiener Museums Moderner Kunst (MUMOK) befindet.

Aber die erste Reise der „Linien“ führte durch die Niederlande ins schweizerische Neuenburg, in die Galerie Media zu deren Eigentümer, dem Verleger und Drucker Marc Hostettler. Er war vor allem für seine Edition bekannt – er publizierte Serigrafien für viele Künstler, unter anderem auch für die Schweizer Klassiker Max Bill und Richard Paul Lohse, und er war es natürlich auch, der Sýkoras kurze Begegnungen mit ihnen vermittelte. Er gab auch mehrere grafische Blätter für den britischen Künstler Kenneth Martin heraus, dessen Linienbilder so viel mit denen Sýkoras gemein haben. Auch Martin arbeitete mit einem System, auch er ordnete den Farben und Richtungen Zahlen zu. Er war sehr an Sýkoras Werk interessiert und lud uns nach London ein. Leider kam es nicht mehr zu dieser Begegnung, aber in unserer Sammlung haben wir die beiden schönen Serigrafien Pier and Ocean und Venice (beide 1980), in denen der Autor sein System „dekodierte“ und die ein Beleg für die Parallelen im Denken der beiden Künstler sind. Aus einer Privatsammlung haben wir noch das Ölgemälde Chance, order, change 4 (1978) ausgeliehen, das ebenfalls das Ergebnis einer solchen Suche ist, wie sie in den Serigrafien gezeigt wird. 1980 gab Marc Hostettler auch eine erste Grafikmappe für Zdeněk Sýkora heraus, und ein Jahr danach nahm er dessen „Linien“ in die sehr wichtige vierteilige Ausstellung „Cycle Média“ auf, wo sie neben Bildern von Bill und Morellet gezeigt wurden. Dies alles ist in einem wunderbaren Katalog dokumentiert. Beherzt setzte der Galerist auch bei der Kunstmesse in Basel auf Sýkora und stellte die „Linien“ in einer One-Man-Show aus. Später initiierte er eine Einzelausstellung mit Sýkoras Werken im Museum in Chambéry. Da hatten sich die Zeiten bereits geändert: Zdeněk Sýkora ging mit sechzig mitten im Semester in den Ruhestand und ein Jahr später durfte er reisen. Es war eine freudige Rückkehr in den Kreis der europäischen Künstler, die Begegnungen mit alten Bekannten, aber auch neue Freundschaften mit sich brachte. Von der ersten Reise im Jahr 1981 kehrte er voller Optimismus und Selbstbewusstsein zurück, denn er konnte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass sein Werk neben anderen Künstlern, die er selbst so sehr schätzte, bestehen konnte, und er erntete sogar Anerkennung von mehreren namhaften Kritikern. Er stürzte sich mit großer Begeisterung in die Arbeit an weiteren Linienbildern – das Interesse und die Anerkennung motivierten ihn.

Zdeněk Sýkora und François Morellet in Louny, 1993, Foto (c) LZS Archiv Respekt und Bewunderung standen auch hinter der Einladung von François Morellet in dessen wunderschönes Haus in seiner Geburtsstadt Cholet im Jahr 1983. Ich erinnere mich gern an diese erste Begegnung, an ihre Gastfreundschaft und ihr aufrichtiges Interesse, an den heiteren und zuvorkommenden François und seine Frau Danielle, die mir für meine Zusammenarbeit mit meinem Mann zum Vorbild wurde und deren Archiv mich in Begeisterung versetzte. Auch an ihren Sohn Frédérik erinnere ich mich – von ihm bekamen wir Schallplatten mit minimalistischer Musik von Steve Reich und Philip Glass. François zeigte uns sein Atelier – er war damals gerade in der Schaffensphase, die er „Geometree“ nannte. Was die beiden Künstler verband, waren nicht nur ihre Ansichten zur Kunst, sondern auch ihr Humor und ihr Optimismus. Sie wurden enge Freunde. Und obwohl wir uns danach nicht sehr oft gesehen haben, war unsere Beziehung intensiv. Wenn sie nicht persönlich zu einer Vernissage kommen konnten, fanden wir immer einen Gruß oder einen Glückwunsch von ihnen in der Post. Sie besuchten uns auch in Louny. Auch sie waren begeistert von der Landschaft, den Dächern der Kirche, aber natürlich auch von Sýkoras Bildern. Und es war François, der um einen Tausch bat. Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, in Louny sein Werk mit dem wunderschönen Titel Tableau incliné à 15° avec 4 droites de néon dont 3 sont parallèles à ses côté et une parallèle au sol (1993) auszustellen, und er lässt sich dafür vor unserem Bild „Linien Nr. 73“ (1990) fotografieren, das wir „Der Eismann“ genannt haben. Als Bonus haben wir ihm die Gleichung für die Berechnung der einzelnen Punkte eines Bogens geschenkt, weil auch er sich in seinem Werk mit gekrümmten Linien beschäftigte. Viele Jahre später formulierte François Morellet seine Gefühle in einem Brief an den französischen Botschafter und bat ihn, diesen bei der Gedenkfeier für Zdeněk Sýkora am 15. Juli 2011 im Museum Kampa zu verlesen: „Es verwundert mich immer wieder, dass wir schon Jahre, bevor wir uns kennenlernten, jeder für sich in seinem Provinzstädtchen – er in Louny und ich in Cholet – mit großem Eifer nach einem Weg gesucht haben, wie wir Abstand zu unseren Werken gewinnen können. Im Unterschied zur Unendlichkeit der Künstler, deren Werke die ,Tiefen ihres Ichs’ widerspiegeln, konnten sich die unseren praktisch unabhängig von uns entwickeln. Das war eine mutige Haltung und kam einem kommerziellen Selbstmord nahe. Zum Glück hatten wir Galerien, die uns wohlgesonnen waren, wie Art Affairs in Amsterdam und Media in Neuenburg. Beide standen hinter uns und brachten uns oft zusammen. Ich bin heute sehr traurig und bewegt angesichts des Verlustes eines so bemerkenswerten Komplizen...“
Ausstellung in Louny, 2014, Foto (c) Martin Polák
Am Beginn der Wiederentdeckung und des Erfolgs der Werke von Zdeněk Sýkora in Deutschland stand paradoxerweise auch der schweizerische Galerist Marc Hostettler. Sein Glaube an Sýkoras Stärke steckte auch den Direktor des Josef-Albers-Museums in Bottrop, Ulrich Schumacher, an, der 1986 beschloss, für ihn eine große Retrospektive auszurichten. Diese zeigte überzeugend, dass Sýkora nach wie vor zur erlesenen Gesellschaft gehört. Und da die zweite Hälfte der achtziger Jahre durch die allmähliche Lockerung der politischen Verhältnisse und die Wiederaufnahme alter Kontakte gekennzeichnet war, erhielt Zdeněk Sýkora erneut zahlreiche Angebote für Ausstellungen, Symposien, die Veröffentlichung von Serigrafien und Einladungen zu Reisen. Ab den neunziger Jahren konnte er dann seine Erfolge in vollen Zügen genießen (wieder wären bedeutende europäische Museen zu nennen, z. B. in Paris, Wien, Berlin, Nürnberg, Barcelona, Mönchengladbach, Ludwigshafen usw.). Als sein Galerist setzte sich mehr und mehr Heinz Teufel durch, der 1987 wieder nach Prag gekommen war und ihm die Zusammenarbeit angeboten hatte: Er war bereit, Sýkora zu vertreten und sich auf dem europäischen Kunstmarkt für seine Interessen einzusetzen. Aus dem Galeristen, der 1966 in Koblenz eine kleine Galerie eröffnet hatte, die auf konkrete und konstruktive Kunst spezialisiert war und in der er unter anderem auch Miloš Urbásek und Jan Kubíček ausstellte, war nach zwanzig Jahren ein einflussreicher Kölner Galerist geworden, dessen Ausstellungen in diesem Bereich der Kunst tonangebend waren. Unter anderem stellte er auch Klassiker der Konkreten Kunst, wie Josef Albers, Max Bill, Richard Paul Lohse, Mario Nigro, Camille Graeser, Aurélie Nemours, Jo Delahaut, Max Mahlmann und Gudrun Piper, aus, aber auch Künstler der jüngeren Generation, zum Beispiel Bridget Riley, Heijo Hangen, Wilhelm Müller, Bob Bonies, Hans Jörg Glattfelder, Andreas Brandt, Manfred Mohr, Horst Bartnig, Christoph Freimann und ab 1988 auch Zdeněk Sýkora. Zum dreißigsten Geburtstag der Galerie und zum sechzigsten des Galeristen beschlossen acht Künstler aus seinem „Stall“, die Grafikmappe Heinz Teufel zum 60. Geburtstag (1996) herauszugeben. Dies geschah als Dank für seine Arbeit und sein Engagement, aber ebenso für seine Vitalität und Lebensfreude, mit denen er die Besucher bei den Vernissagen ansteckte, die nicht nur für die hohe Qualität der angebotenen Kunst, sondern auch für ihr kulinarisches Angebot berühmt waren. Auch Heinz und seine Frau Anette waren oft in Louny. Sie wollten hier sogar eine Filiale ihrer Galerie gründen und ein internationales Zentrum für moderne Musik und Kunst aufbauen. Anfang der neunziger Jahre herrschten jedoch schlechte Zeiten für Kunstvisionäre, und so entstand diese Galerie in Dresden. Schade, Louny hätte – in der vielversprechenden Kombination mit der Galerie Benedikt Rejt, die schon seit den sechziger Jahren auf konstruktive Tendenzen spezialisiert war – zu einem Wallfahrtsort für Anhänger der Konkreten Kunst werden können. Heinz Teufel war aber ein großer Kämpfer und gab seine Träume nicht einfach so auf. Auch sein Humor und sein Elan verließen ihn nicht, obwohl er wusste, dass er an einer schweren Krankheit litt. Er war der Typ Mensch, der beharrlich an der Verwirklichung seiner Pläne festhält, er war präzise, ihm war an jedem Detail gelegen, er tat viel für seine Künstler und wir haben viel von ihm gelernt. 2006 konnte er noch einen Dokumentarfilm über seine Galerie und seine vier Künstler drehen. Louny spielt darin eine wichtige Rolle, weil auch Heinz Teufel wusste, wie wichtig es für Zdeněk Sýkora war, woher er stammte.

Wie also findet ein Künstler aus einer kleinen tschechischen Stadt Zugang zur erlesenen (internationalen) Gesellschaft? Vor allem muss er etwas mitzuteilen haben und leidenschaftlich davon ergriffen sein, er muss arbeiten, sich selbst vertrauen. Er darf keine Angst haben, mit seinem Werk vor die Öffentlichkeit zu treten, muss seine Gedanken zu verteidigen wissen, womöglich gegen den Widerstand aller. Und dann ist noch wichtig, an die richtigen Menschen zu geraten. Wenn seine Kunst jemanden anspricht, der hinter ihm steht, der ihn mit anderen Künstlern und Bewunderern in Kontakt bringt und dafür seine Energie einsetzt, der in der Lage ist, Gleichgesinnte anzustecken, dann hat er gewonnen. Obwohl es im vergangenen Jahrhundert noch kein Facebook gab, gab es Menschen, die dieselben Werte teilten, sich gegenseitig halfen und für die Werke ihrer Freunde warben. Zdeněk Sýkora war sehr kühn und originell, fleißig und kameradschaftlich, aber er hatte auch das Glück, auf solche Menschen zu treffen. Und so fand sein Werk ganz selbstverständlich seinen Platz in der internationalen Gesellschaft.
Heinz Teufel´s Geburtstagsfeier, von links: H.P. Riese, W. Müller, Ch. Freimann, A. Brandt, ZS, M. Mohr, H. Teufel, H. Bartnig, 1996

Zdeněk Sýkora in erlesener Gesellschaft

In: Katalog „Zdeněk Sýkora ve vybrané společnosti“, Galerie města Loun ve Vrchlického divadle, Louny 2013

Autorin: Lenka Sýkorová, 2013

Thema: internationaler Kontext des Werks von ZS