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Soweit ich weiß, hatte man in seiner Heimatstadt ursprünglich nicht mit einer Ausstellung zum achtzigsten Geburtstag Zdeněk Sýkoras gerechnet — aber weil die Benedikt-Rejt-Galerie begann, auch Sonderausstellungen zu organisieren, ging der Künstler auf ihren Vorschlag ein. Es ist Sýkora zu verdanken, dass der Name Louny ins Bewusstsein eines bestimmten Personenkreises gelangte, und dies nicht nur in Tschechien, sondern vor allem auch im Ausland.
Angesichts des für die Ausstellung vorgesehenen Raums im Erdgeschoss mit vier großen Kojen und zwei skurrilen Polyedern auf der rechten Seite und links hinten war klar, dass es sich nicht um eine Ausstellung des Gesamtwerks handeln konnte und dass das Ergebnis eine strikte Auswahl von Exponaten sein musste. Die Vorbereitung der Ausstellung übernahmen der Künstler und seine Frau Lenka, deren professionelle Zusammenarbeit bereits seit zweieinhalb Jahrzehnten besteht. Das Ergebnis ist eine streng selektiv, aber äußerst prägnant zusammengestellte Retrospektive, die dadurch möglich wurde, dass sich viele der wichtigen Werke im Besitz des Künstlers und der Benedikt-Rejt-Galerie befinden. Die Gestalter der Ausstellung wählten eine Chronologie, die von den jüngsten zu den ältesten Arbeiten zurückführt, aber durch den offenen Raum kann man nach Belieben zurückkehren und zum Beispiel bestimmte Konstellationen mehrmals rekapitulieren. Ich bin nicht sicher, ob es nötig ist, noch jemanden von der Bedeutung des Werks Zdeněk Sýkoras zu überzeugen. Die Ausstellung in Louny zeigt die Einzigartigkeit seines Werks, das in mehr als vierzig Jahren intensiven künstlerischen Schaffens entstanden ist, in seinen einzelnen Etappen und als Ganzes. Sie beginnt nicht mit den faktischen Anfängen des Künstlers — man könnte sagen, dass sie seinen Weg zur Abstraktion veranschaulicht. Die älteste Abteilung sind also die „Gärten“ aus dem Jahr 1959, in dem ihm, wie er selbst immer bekundet, die Begegnung mit der Matisse-Sammlung in der Leningrader Eremitage half, eine entscheidende Wendung in seiner Malerei zu vollziehen. Natürlich war Sýkora auf diese Wendung vorbereitet, angefangen bei den kubistischen Versuchen aus den vierziger Jahren, vor allem aber durch das Interesse am Aufbau eines Bildes aus Farbflecken. Auch dass Sýkora in seinem innersten Wesen Maler ist, für den ein Bild, das heißt ein gemaltes Bild, alles bedeutet, könnte man als Leitmotiv dieser Ausstellung betrachten. Die Matisse’sche Lektion führte zu einer radikalen farblichen und morphologischen Freisetzung und es begann mit ihr eine mehrjährige intensive Schaffensphase, die in mehreren Etappen zu einer kompositorisch immer autonomeren künstlerischen Arbeitsweise führte. Wie diese Ausstellung belegte, waren es eigentlich lediglich fünf Jahre, 1959–1964, und man muss sich auch den Kontext der tschechoslowakischen Kunst in dieser Zeit bewusst machen. Wege zur Abstraktion wurden zwar von verschiedenen Künstlern beschritten, meist führten sie aber zum Informel bzw. zu dessen existenziell akzentuierter Variante. Sýkora bemühte sich eigentlich um das genaue Gegenteil, um Malerei als positive Reflexion der Welt und des menschlichen Lebens. Die Farben seiner „Gärten“ verselbständigten sich mehr und mehr, bis aus ihnen 1960 erstmals freie Kompositionen zum Beispiel kreisförmiger, unregelmäßig abgegrenzter, mit dem Pinsel artikulierter Flächen entstanden. Im Laufe der Zeit setzte sich diese geometrische Gestaltungsweise durch und 1962 entstanden bereits Bilder, die aus klar linear begrenzten Flächen komponiert waren, in Details zwar mitunter noch beeinflusst durch das vorherige Interesse an einer künstlerischen Handschrift, aber nach und nach werden sie immer unpersönlicher. Die Entdeckung dieser Ausstellung ist das Bild „Rote Vierecke“ (1962), in dem sich die Horizontale, Vertikale und Diagonale schon als bestimmendes Kompositionsprinzip andeuten und das Interesse an einem kombinatorischen Bildaufbau bereits vorweggenommen wird, ähnlich wie in den wohlbekannten Bildern „Roter Pfeil“ und „Komposition — schwarz, blau und weiß“ (1962), den ersten tschechischen Gemälden, die sich jeglicher Handschrift entledigen und die Gegenüberstellung mehrerer radikal vereinfachter, durch Geraden begrenzter geometrischer Flächen als autonomes Prinzip einsetzen. Das war damals das Radikalste, was man in der tschechischen Malerei zu sehen bekam, aber die Überlegungen Zdeněk Sýkoras führten bereits weiter — ihm wurde klar, dass das einfache geometrische Element eine neue syntaktische Komponente in einem komplizierteren Ganzen sein kann, das neuen, rationalen Kompositionsregeln unterworfen wird. Es entstand die „Graue Struktur“ (1962–63), die in der Ausstellung wohldurchdacht als Abschluss jener geometrischen Kompositionen und eigentlich als Abschluss des gesamten älteren Teils der Ausstellung installiert wurde.
Damit liegt auf der Hand, dass die andere Hälfte der Ausstellung aus einer Auswahl aus den mehr als 200 Bildern bestehen muss, die nach diesem Zeitpunkt entstanden sind. Die „Graue Struktur“ gehört zu den Schlüsselwerken der tschechischen Kunst, sie war hier das erste kombinatorische Bild und der Auslöser für sehr ernsthafte Diskussionen, ob ein solches Vorgehen im tschechischen Umfeld autochthon ist. Gleichzeitig ist es natürlich auch ein überaus schönes Bild, eine kombinatorische Komposition, noch intuitiv, geleitet von dem Wunsch, verschiedene visuell differenzierte Strukturen zu finden, die als autonome ästhetische Qualitäten wahrgenommen werden. Und weil Zdeněk Sýkora damals noch mehr in den Hintergrund treten wollte, begann er 1964, mit dem Mathematiker Jaroslav Blažek zusammenzuarbeiten, der ihm die Möglichkeit eröffnete, in die Wahl der Kombinationen den Computer einzubeziehen. Das war Sýkoras nächstes bahnbrechendes Unterfangen, international nach wie vor respektiert, und auch diesen Weg dokumentiert die Ausstellung mit mehreren Bildern, die zu den wichtigsten gehören, angefangen bei den klassischen schwarzen und weißen halbrunden Flächen und dem ersten Experiment mit mehreren bunten Farben (1965). Obwohl er durch und durch ein Maler war, stellte er damals auch Erwägungen über den Raum an. Das Ergebnis waren einerseits dreidimensionale kombinatorische Formationen — die am stärksten gegliederte von ihnen fand ihren Platz in der Ausstellung in jenem kuriosen polyederförmigen Miniraum. Aber auch die räumlich gewölbten „Topologischen Strukturen“ (1969) und die kombinatorischen Formationen aus dreidimensionalen Elementen (Vertikale Struktur, 1967) gehören hierher. Dies alles findet man in der Ausstellung, bis hin zu den Makrostrukturen (1972), bei denen die linearen Verknüpfungen der Umrisse der einzelnen Segmente in den Vordergrund zu treten beginnen.
Das führte dann ab 1973 folgerichtig zu den „Linien“. Diesen Bildern ist lediglich ein Viertel der Ausstellung gewidmet, aber es ist gelungen, sie anhand hervorragender Beispiele zu dokumentieren, beginnend mit den ersten, sehr einfachen Linienbildern über komplizierte Schichtungen bis hin zu den letzten Gemälden, die durch die essenzielle Eingrenzung des Zentrums bzw. der Zentren geformt werden. Auch die „Linien“ sind eine getreue Visualisierung einer wiederum vom Computer geschaffenen Grundlage durch den Künstler. Der Computer hat nun die Aufgabe, die eingegebenen Parameter (im Laufe der Jahre nahm ihre Zahl zu) rein zufällig auszuwählen, jedes Bild wird im Grunde zu einem „Bild des Zufalls“, wobei natürlich bestimmte Vorgaben (z. B. die Farbpalette oder ein bestimmendes Prinzip) respektiert werden. Von den rund 200 Linienbildern konnten in Louny nur einige präsentiert werden, aber auch hier handelt es sich wieder um Bilder von besonderer Relevanz. Auch die Auswahl aus den letzten Jahren könnte für viele Besucher eine Überraschung sein, denn sie bildet ein reichhaltiges, vielfältiges und dabei in sich konsistentes Ganzes. Für manchen kann sie der Anfang, für andere das Ende der Ausstellung sein. Für alle aber ist sie ein Beleg dafür, dass Zdeněk Sýkora zu einem überaus tragenden Prinzip für die Artikulation der Bildkomposition, zu einer Ordnung sui genesis gelangt ist. Den reinen Zufall nehmen wir so als Ordnung wahr, die der dem Menschen, der Natur, dem Kosmos oder auch Gott immanenten Ordnung gleichkommt, je nach unserer eigenen Veranlagung, die wir in die Ausstellung mitbringen — und so wurden die Bilder des Künstlers auch bereits von verschiedenen Autoren interpretiert. Aber das ist letztendlich nur ein begriffliches Problem — wichtig ist die Ordnung des Bildes, zu der Zdeněk Sýkora gefunden hat, und er hatte sie schon in den kombinatorischen Strukturen und den radikalen geometrischen Kompositionen gefunden, die ihnen vorausgingen, aber auch in der Autonomie der Farbflecken seiner „Gärten“. Große künstlerische Sensibilität verbindet sich bei ihm mit einer Radikalität, die ihn in die Lage versetzte, modernste Technik in den Dienst seiner Malerei zu stellen, und das in einer Zeit, in der das etwas völlig Singuläres war.
Auf diese Weise entdeckte er eine neue Welt der Malerei und konnte so nicht nur sein erhabenes Werk schaffen, sondern er gehört auch zu denen, die sich für die Existenz der Malerei, die Existenz des Bildes einsetzen, in einer Zeit, in der das Interesse anderen Medien gilt. In dem anderen winzigen Raum ist eine Lichtprojektion zu sehen, auf der sich ein Foto des jungen Zdeněk Sýkora, der sich gerade mit den Malutensilien auf den Weg „ins Pleinair“ begibt, und die gezeichnete Linie eines Flusses überlagern und die uns daran erinnert, wie wir — noch als Kinder — im Radio die Wasserstandsmeldungen für die tschechischen Flüsse gehört haben — einschließlich jenes magischen „Eger – Louny“ ... Die Schlängellinie ähnelt den Linien auf Sýkoras Bildern — und zeugt doch auch davon, dass seine Linien anders sind. Unnachahmlich.