Die Ausstellung zeigt anhand einiger ausgewählter Beispiele die Zusammenhänge zwischen dem grafischen Werk und der Malerei, zwischen Werken im öffentlichen Raum und Buchillustrationen auf. Gleichzeitig präsentiert sie erstmals eine Gesamtschau aller Serigrafien, die in den Jahren 2009–2011 entstanden sind, also Werke, die nicht in den zuvor veranstalteten großen Ausstellungen mit Sýkoras grafischem Werk zu sehen waren und die nicht im Verzeichnis des Buches Grafika (Grafik) enthalten sind.
Text in Katalog:
Parallele Entwicklungslinien
Vor vier Jahren habe ich in einem Text für die Zeitschrift „Grapheion“, im Zusammenhang mit der Verleihung des Vladimír-Boudník-Preises 2008 für das grafische Werk Zdeněk Sýkoras, versucht, seinen Weg zur Grafik zu beschreiben und die Etappen dieser Entwicklung zu charakterisieren. Aus diesem Essay ging hervor, dass für Zdeněk Sýkora, der mit Leib und Seele Maler war, die Grafik nie an erster, aber auch nicht an letzter Stelle stand, sie entfaltete sich immer auf einer parallelen Entwicklungslinie zu seiner Malerei. In vielen Fällen reflektierte seine grafische Arbeit bereits fertige Konzeptionen seines abstrakten Schaffens und reagierte auf Gemälde, die sich in Arbeit befanden (Phasen Nr. 31) oder bereits fertiggestellt waren (Grafiken mit Strukturen aus den 60er und 70er Jahren, Linienalbum von 1980). Seit Mitte der 80er Jahre entstanden jedoch auch Originalvorlagen, die exklusiv für Grafiken bestimmt waren, und die grafischen Blätter wurden damit zu völlig autonomen Werken (100 Linien). Eine eigene Kategorie bilden die Struktur-Grafiken, die zwei Datierungen haben, denn sie entstanden in den letzten Jahren aufgrund nicht realisierter Studien aus den 60er Jahren (Letná XL, Farbige Struktur und Schwarz-weiße Struktur).
Die Ausstellung in Ostrava soll ein erster Versuch sein, diese Entwicklungslinie anhand einiger ausgewählter Beispiele detaillierter nachzuzeichnen. Sie macht vor allem auf Beziehungen von Sýkoras grafischer Arbeit zu seiner Kunst am Bau und seinen Buchillustrationen aufmerksam. Gleichzeitig stellt sie erstmals zwölf Serigrafien vor, die in den Jahren 2009–2011 entstanden sind, also erst nachdem mehrere große Ausstellungen mit Sýkoras grafischem Werk stattgefunden hatten. Auch in das Werkverzeichnis der Grafik-Monografie (Grafika, Gallery, Praha 2008) konnten sie nicht aufgenommen werden, weil diese schon früher erschienen war.
An erster Stelle seien die acht Serigrafien im Album Letná XL genannt. Anlass für ihre Entstehung war die gleichnamige Ausstellung, die 2009 in der Galerie Zdeněk Sklenář stattfand und an das vierzigjährige Jubiläum der Fertigstellung von Sýkoras größtem Werk im öffentlichen Raum – des gläsernen schwarz-weißen Mosaiks an den vier Lüftungstürmen des Prager Letná-Tunnels – erinnerte. XL stand also nicht nur für die Anzahl der Jahre, sondern sollte auch die Monumentalität des Werks symbolisieren. Ausgestellt wurden auch die vom Künstler gedruckten Visualisierungen der Computerpartituren (Codes aus Zahlen und Buchstaben) zu den acht Bildern, die für das Mosaik verwendet wurden. In den 60er Jahren war es nicht möglich, sich diese Entwürfe am Computer ausfertigen zu lassen, der Künstler musste kleine Stempel für die einzelnen Typen von Elementen herstellen und alles manuell drucken. Das Ergebnis fasziniert durch den investierten Arbeitsaufwand und den Perfektionismus und auf der anderen Seite durch die fehlende Passgenauigkeit. Diese Entwürfe 2009 als Serigrafien drucken zu lassen, betrachtete Zdeněk Sýkora als Erfüllung seines damaligen Wunsches (sich von der Sklavenarbeit des Amateurdruckers zu befreien) und gleichzeitig als Aktualisierung der Entwürfe, denn sie erhielten eine neue Form, die sich nicht nur vom „Stempelentwurf“ unterschied, sondern auch vom Endergebnis, dem Glasmosaik. Man hat auch die einmalige Gelegenheit, die Struktur aller acht Seiten der Türme zu sehen. Die Serigrafien haben ungewöhnliche Maße (220 x 38,8 cm), die auf den Maßen des Bauwerks beruhen (1:10) und die zweifellos den Druck, die Adjustierung und die Platzierung im Interieur schwierig gestalteten. Beim Vergleich der Entwürfe mit der Umsetzung wird deutlich, dass die Struktur in ihrer Unbegrenztheit in jedem beliebigen Ausschnitt als solche funktioniert.
Auch das Album Létání (Das Fliegen, 2007) hängt mit einem Kunst-am-Bau-Projekt zusammen. Sýkoras Linien prägen seit 2005 auf einer Fläche von 7 x 5 Metern an zwei einander gegenüberliegenden Wänden das Erscheinungsbild der Eingangshalle des neuen Gebäudes der Flugsicherung in Jeneč bei Prag. Die Veröffentlichung der Serigrafien war wiederum mit einer Ausstellung in der Galerie Zdeněk Sklenář verbunden, die auch organisatorisch an der Umsetzung des eigentlichen Werks beteiligt war. Mithilfe der Serigrafien wollten wir auf eine wichtige Eigenschaft der Linien aufmerksam machen, die immer ein Ausschnitt aus der Unendlichkeit sind: Jeder Teil von ihnen kann zu einem neuen Bild werden. Es war also schwierig, aus Dutzenden Möglichkeiten nur fünf auszuwählen. Die Namen der einzelnen Blätter verweisen auf die Beziehung zwischen dem Ganzen und seinen Teilen (Das Fliegen – Flug), die Zahlen wiederum auf die Linien Nr. 233 und 234, auf denen die Grafiken basieren. Die Verbindung zur Architektur wird durch den gewählten Maßstab von 1:1 und die übereinstimmende Farbgebung unterstrichen. Auf diesen Serigrafien sind die Unterschriften von uns beiden zu finden, denn auch „Das Fliegen“ in Jeneč haben wir als gemeinsames Werk deklariert.
Ein umfangreiches Portfolio bilden die grafischen Arbeiten für den Verlag Aulos in Prag, das Buchillustrationen und eigenständige Serigrafien umfasst, die jeweils zu neuen bibliophilen Publikationen herausgegeben wurden. Unsere Zusammenarbeit mit dem Verleger Zdeněk Křenek dauerte mehr als zehn Jahre und im Ergebnis entstanden fünf bibliophile Bücher mit einer außergewöhnlichen grafischen Gestaltung von Zdeněk Ziegler. Für drei Titel entwarfen wir Originalgrafiken mit Linienthematik. Die Namen der Serigrafien – 13 Linien für Jan Neruda, 13 Linien für Stephen Hawking, 13 Linien für Karel Hynek Mácha – verweisen auf die Autoren dieser Bücher. Für den Erzählband Elly des amerikanischen Autors William Faulkner suchten wir einen adäquaten grafischen Ausdruck in Sýkoras Flecken-Bildern und die Serigrafien haben denselben experimentellen Charakter wie Faulkners Roman „Schall und Wahn“. Das letzte Buch Poesie Strukturen Linien (2009), eine Auswahl experimenteller Poesie der Koautoren Bohumila Grögerová und Josef Hiršal aus den 60er Jahren, wird nicht nur von Sýkoras Linien, sondern auch von Strukturen begleitet, und zwei grafische Blätter entstanden damals aufgrund von Skizzen zu Strukturen, die nicht umgesetzt worden waren. Die Schwarz-weiße Struktur und die Farbige Struktur sind Versionen derselben Anordnung von Elementen und nahezu ein Lehrbeispiel für die Beziehung zwischen Farbe und Form und die unterschiedliche Wirkung derselben Form bei unterschiedlicher Farbgebung. Es zeigt, dass durch die Kumulation der Formen bei der schwarz-weißen Variante die Elemente als Grundlage der Struktur verleugnet werden.
Die letzte grafische Arbeit des Künstlers sind die Nulllinien, zwei zusammengehörige Serigrafien, die 2011 von der Galerie Zdeněk Sklenář herausgegeben wurden. Diese Art von Linien war für viele eine Überraschung, in Sýkoras Schaffen gibt es sie jedoch bereits seit 1982. Natürlich können diese Grafiken auch jeweils für sich existieren, aber zusammen können sie geradezu als Demonstration des Wirkens gestalterischer Gesetzmäßigkeiten dienen, zum Beispiel dessen, wie unterschiedlich sich zwei formal identische Arbeiten in einer schwarzen und einer farbigen Variante ausnehmen können. Auch ihr Format ist außergewöhnlich – mit ihrer Größe von 120 x 120 cm sind die Nulllinien die größten Serigrafien Zdeněk Sýkoras.
Lenka Sýkorová, 2012
Ostrava, Ausstellungssaal, Sokolská 26
12. 6. - 27. 7. 2012
Ausstellungskonzept: Lenka Sýkorová, Veronika Hudečková
Katalog: Lenka Sýkorová