texte über zs
Der chinesische Denker Lao-Tse betrachtet die Welt als Abgrund eines Geheimnisses. Als ob Zdeněk Sýkora dies bestätigen wollte, sind in seinem Werk zwei Abgründe der Welt geheimnisvoll miteinander verbunden, die für gewöhnlich im Gegensatz und Widerspruch zueinander stehen, verbunden jedoch sich vervielfachen und deren Kombination etwas Neues, noch nicht Gesehenes ausbildet.
Einerseits bewegt sich Zdeněk Sýkora verwegen aber realistisch in einer Welt der konzeptuellen Exaktheit, in der Welt der Naturwissenschaften, der physikalischen Gesetzmäßigkeiten, der geometrischen Systeme, der mathematischen Kombinationen, in der Welt der Computermaschinen und Technologien, kurz in der vollkommen rationalen Welt. Er weiß also, wie seine Strukturen mittels Logik, Geduld und Ordnung zu zähmen und zu zerlegen sind.
Andererseits tritt er ebenso elegant über in die Landschaft des Gegensatzes, in die Landschaft von Phantasie und Illusion, die Landschaft der Naturmaterie, in ihr Reifen und Verblühen, in die Landschaft der Methoden der Malerei und der Farben, der Wildheit, der Emotionen und der Harmonie. Und er weiß, wie die Leidenschaft, wie Traurigkeit und wie Sehnsucht schmeckten.
Wenn nun beides mittels der Methode der „herbeigeführten Zufälligkeit“ zusammengefügt wird, ist Zdeněk Sýkora Bote dieser Welten und dabei stellt ihre Disharmonie für ihn kein Hindernis dar, aus ihnen eine homogene Materie zu formen, die er schließlich in seine Bilder überträgt. Diese Kombination in des Malers Gehirnhemisphären und den Kunstsensoren mündet in einem vollkommen eigenständigen und originalen Werk.
Der Künstler – im Einklang mit sich selbst – sieht tief in das Chaos der eigenen Seele, und er erahnt und lernt dort das Unsterbliche kennen – denn große Kunst wird immer eine unsterbliche Zeugin der Zeit sein. Und in diesem Fall ist sie darüber hinaus auch Zeugnis von allesüberströmender Freude, Leichtigkeit und Besessenheit von Kunst. Sie bereichert rauschartig und nimmt der Pilgerreise durch dieses Tränental etwas von deren Last. „Der innerliche Kampf ist sowieso barbarisch wie eine Schlacht“, schrieb Artur Rimbaud und verbrannte seine Bücher. Wir dagegen können auch Zeugen davon sein, wie Schaffen stärkt, befreit und das Leben erträglicher macht.
Ähnlich wie Theseus, der sich in das mythische Labyrinth aufmachte, um Minotaurus zu töten, machte sich in meinen Augen auch Zdeněk Sýkora auf den Weg in das Labyrinth der neuen Malerei. Er bewies jene Möglichkeit, die Leidenschaft traditioneller Zugänge zur Malerei zu zähmen. Sein egozentrisches Ich verbarg er hinter den tausenden Tangenten, Kreislinien und Schnittpunkten, die es ihm ermöglichen, das Chaos der postmodernen Zeit in Ordnung umzuwandeln, den Lauf der vorgegebenen doch gleichzeitig zufälligen Struktur zu verfolgen und jene Spontaneität und Selbstentwicklung der Natur außerhalb und innerhalb der Welt zu kopieren.
Diese Fähigkeit – vervielfacht auf ganz selbstverständliche Art dur ein ungewöhnliches Maß an Öffenheit, direkt proportional zu seiner Tapferkeit, diese Erfahrung zu entblößen – wurde – als einzige ihrer Art – in der Künstlerseele diagnostiziert, in Begleitung derer Zdeněk Sýkora vor über einem halben Jahrhundert in den Turnierplatz der Maler eingetreten ist und trotz jener Zeit (Anm. d. Übers: Gemeint ist die Zeit des Kommunistischen Regimes inder ehemaligen Tschechoslowakei von 1948-1989. Jedem Regimegegner drohte die Gefahr der Persekution. Eine ganze Reihe von Künstlern, wie auch Sýkora, verloren ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und jegliche Auftritte in der Öffentlichkeit wurden ihnen verwehrt.) geblieben ist. Egal ob er sich an der Sonnenseite aufgehalten hat oder vom Zorn der Zeit gezwungen war, mit stoischer Ruhe in „Vergessenheit“ zu verweilen. Ohne Rücksicht darauf ist für ihn seine Malerprofession eine Mission und eine Lebensnotwendigkeit, und er tränkt seine riesigen Leinwände weiter, völlig absorbiert von der Arbeit. „Ich bin der absolute Wille“, sprach Ladislav Klíma.
Das authentische und zeitlose Malerswerk bewegt sich durch seine Winkeln und Kanten in einer Unwiederholbarkeit; es schweigt mit den Pausen und rundet sie durch Halbkreise ab, ist von den Flecken oder von den durchflochtenen Hieroglyphen geätzt, die einen Eingeweihten an den Rundhügel des tschechischen Mittelgebirges erinnern können, an das Sich-schlängeln eines Flusses oder an einen Blutkreislauf galaktischer Ader- und Kapillargefäße. Es ist egal, ob die Farben ähnlich der Wellenausbreitung des Lichtes strahlen oder zwischen einigen Nuancen von Schwarz oszillieren, die Flächen können beim Malen zu einem harmonischen Ganzen verbunden sein oder unbemalter Raum bleiben, wo nur feine Linien dem luftigen Leer seine Schärfe verleihen. In all diesem kann man das Mysterium des archetypischen Naturkreislaufes fühlen, das der Künstler mittels der zufällig erwählten Ausgangspunkte, mittels der Koordinaten, mittels der Linien und mittels der Kurven, Sinuskurven, vertikalen und geraden Linien nach außen trägt. Hinter dem Damm der Phantasie, den er durchbrochen hat, ist er verbissen am Werk, einen innerlichen Garten, wo die Wege sich – geführt von einer gewissen höheren Ordung, denn in diesem Moment stehen wir nicht unter der Herrschaft des Gesetztes, sondern unter der Milde der Gnade – sich in der Tiefe der Zeit, des Raumes, der Leere verzweigen.
Den Bildern fehlt der Rahmen, die Begrenzung, und sie werden Bestandteil des Universums, können mit ihren Berührungslinien durch die Unendlichkeit weiterlaufen und sich dort verlieren, während sie im gleichen Moment Alles und Nichts sind, vielleicht die absolute Freiheit (der Maler ahnt das zweifellos, da das Gefühl dieser Freiheit dem Nirvana nicht unähnlich ist). In ihnen gibt es nichts mehr als Maya, plötzliche meditative Gegenwart, keine Botschaft, kein verstecktes Signal – sie sind einfach; in ihrer Natürlichkeit existieren sie im Hier und Jetzt.
„Das, was mich interessiert, ist nicht Kunst, sondern die Künstler“, behauptete Andy Warhol, und ich kann nicht einmal in diesem Zusammenhang die menschliche Dimension von Zdeněk Sýkora übersehen – seine Hingabe an die „Sache“ und namentlich die Freiheit (oder gar den Mut,) – zum ständigen Experimentieren, mit der er sich auf einen schmalen Grad der Kunst aufmachte und die eine unentbehrliche Eigenschaft aller Pioniere ist. Er konnte die Konventionen der Normen, der Traditionen, des Aberglaubens und vor allem die Grenzen in ihm selbst überschreiten. Oder ist vielleicht der Glaube eine Eingebung von anderswo und trotzdem ganz innerlich? Ist es eine intime Sicherheit, dass wir richtig liegen, voll von innerer Demut, der wir jedoch trotzen, weil wir, obwohl wir transzendieren, ahnen, dass es keine eigene bewusste und rationale Entscheidung ist? Dass es eigentlich nicht anders geht?
Wieso wandeln wir das bloße „Wollen“ in die Tat um? Die „Wurzeln“ aber müssen geschlagen werden, denn ohne sie ist der Glaube an was auch immer nicht stark genug. Es steht außew Zweifel, dass im Falle von Zdeněk und Lenka Sýkora diese Wurzeln außerordentlich fest sind, außerordentlich verwachsen und außerordentlich synchron. Sie verleihen die Festigkeit und halten den rasenden Wipfel der Unruhe des Wissens, das Gewirr der verschlungenen Konturen des Flussgebietes und der Natur fest, wie auch das Talent, ohne das alles nur eine unverbindliche, heuchlerische Salonvorstellung, eine lügenhafte und nichtige Darstellung von etwas ist, das so schnell altert, dass es noch vor der eigenen Geburt jegliches Prickeln verliert.
Die sinnlich geheimste Kunst ist zweifellos die Musik, weil sie dem Unaussprechlichen am nächsten steht und es hängt bloß von unserem Ermessen ab, wie wir die Musik in ihrer Unfassbarkeit „einfangen“. Die Leinwände Zdeněk Sýkoras sind deshalb für mich ein Konzert der bildenden Kunst, eine Melodie auf einer Malerleinwand, ein farbiges Oratorium, thermonuklearer Reaktionen, eine visionäre Sonate kosmischer Reisen, ein nicht vermittelbares, unerklärbares und ein, trotz seines Geheimnisses, symphonisches Gedicht, strahlend durch seine Offenheit, voll von jener einzigartigen Vitalität.
„Ich stehe auf weiter Flur, alle Richtungen sind frei, das Licht und der Wind kommen von allen Seiten“, sagte Zdeněk Sýkora über sich und wurde am Ende auch dort zu einem Zuschauer, wo er selbst Spieler ist. Eben diese Fähigkeit ermöglicht es ihm, einer der größten Spieler auf dem Schachbrett der internationalen angewandten Kunst zu sein.
Übersetzungen: Kristyna Jindrová, Nicole Neumayr