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Unlängst war ich in Louny, wo ein überaus bedeutendes Ereignis bevorsteht, das Kunst und Architektur miteinander verbindet – ein Zusammenspiel, das mich außerordentlich interessiert. Aus der Stadt Louny stammt Zdeněk Sýkora, einer der größten tschechischen Maler der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass seine Gemälde enorme Preise erzielen. Er wurde nicht nur in Louny geboren (1920), sondern verbrachte dort auch praktisch sein gesamtes Leben und schuf einzigartige konstruktivistische Bilder – zunächst Strukturen, danach Liniengemälde –, die in der ganzen Welt anerkannt sind. Obwohl er in Prag unterrichtete, pendelte er täglich dorthin, dreißig Jahre lang. Als sei er darauf programmiert. Als er noch lebte, beschrieb er mir in seinem Atelier mit Ausblick auf die erloschenen Vulkane, was dabei in ihm vorging: „Diese Busfahrten, die etwa zweieinhalb Stunden dauerten, waren für mich furchtbar wichtig. Ich wurde durch nichts gestört, ich war allein und konnte alles gut durchdenken.“ Seit dieser Zeit betrachte ich das Reisen – besonders wenn ich nicht am Steuer sitze – nicht mehr als notwendiges Übel und genieße es, so gut ich kann.
Ende Dezember dieses Jahres werden es 55 Jahre, dass Zdeněk Sýkora begann, den Brandschutzvorhang für das Fučík-Theater in Louny zu bemalen. Sein Freund Vladislav Mirvald half ihm dabei. Im Winter, lediglich zu zweit, mit Mänteln und Mützen, auf einem improvisierten Gerüst aus übereinandergestapelten Tischen stehend, bewältigten sie innerhalb von knapp drei Wochen ein so monumentales und in seinem künstlerischen Ansatz revolutionäres Werk. Hut ab. Nirgendwo sonst gab es etwas Vergleichbares, die Stadt bekam ein echtes Unikat. Es war ein massiver eiserner Vorhang, der vor Feuer schützen sollte, weshalb man erwarten könnte, dass er so einiges überdauert. Ein Trugschluss! Die Rekonstruktion des Theaters in den Jahren 2001 bis 2003 (da hatte man es bereits nach Jaroslav Vrchlický benannt), in deren Verlauf der Vorhang verloren ging, wurde ihm zum Verhängnis. Er löste sich in Luft auf wie Nebelschwaden über der Eger. Bis heute weiß niemand, wie das passieren konnte, wo er landete (aufgrund des Materials vermutlich auf dem Wertstoffhof) und wer eigentlich diese Barbarei beging. Zdeněk Sýkora war durch und durch Lokalpatriot, bei jeder Gelegenheit kam er auf Louny zu sprechen, er liebte es – und spielte sogar für die Stadt in der Hockey-Liga. Der Vorhang war die sichtbarste Spur, die er in der Stadt hinterlassen hatte, was blieb, war lediglich ein großes Foto im Foyer des Theaters.
Nun taten sich viele Menschen zusammen, damit der Vorhang – und mit ihm symbolisch Zdeněk Sýkora, der 2011 verstorben ist – dauerhaft nach Louny zurückkehrt. Diesmal verständlicherweise in anderer Form. Denn man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen. Nach einem Projekt des Architekten Josef Pleskot und der Ehefrau und Mitarbeiterin des Künstlers Lenka Sýkorová soll die geometrische Komposition des Vorhangs auf die Fläche des kleinen Platzes vor dem Theater übertragen werden, sodass sie dauerhaft ein Teil des neu gestalteten öffentlichen Raums wird. Dem Vorhang tut dies keinen Abbruch, er scheint sogar für dieses Projekt wie geschaffen zu sein: Eher könnte man von einer Metamorphose des Vorhangs sprechen und von einer nahezu unglaublichen Fähigkeit, auf neue Umgebungen zu reagieren. Als sei er ein lebendiges Wesen.
Dennoch ist es nicht so einfach, wie es zunächst scheinen könnte. Schon mehr als zwei Jahre verhandelt der Verein Sýkora 2020 (www.sykora2020.cz) unermüdlich mit Vertretern der Stadt, um sie dazu zu bewegen, diesem ehrenhaften Vorhaben zuzustimmen, und leistet diesbezüglich auch beharrliche Überzeugungsarbeit bei den Bürgern: Es wurden nämlich Stimmen laut, dass es besser wäre, in der Stadt die Fußwege instand zu setzen. Der Verein initiierte auch eine Sammlung für das Projekt, deren Patron der Schauspieler Jiří Bartoška, ein Bewunderer Sýkoras, ist: Zu den Spendern gehören beispielsweise der Schauspieler Zdeněk Svěrák und der Regisseur Michal Caban. Den größten Teil der veranschlagten knapp sechs Millionen Kronen soll die Stadt aufbringen, für einen Teil kommen Sponsoren auf und ein Teil wird von der erwähnten Spendensammlung beigesteuert. Darin, wie das Geld aus mehreren Quellen zusammenströmt, liegt beinahe etwas Romantisches und Rührendes, das an die Zeiten der nationalen Erweckung erinnert. „Ich persönlich denke, wenn die ganze Welt Zdeněk Sýkora anerkannt hat, sollte ihn auch die Stadt Louny anerkennen, aber nicht nur das, sie sollte ihn feiern“, ist Josef Pleskot überzeugt. Der Entwurf vereinheitlicht und belebt den Platz und sorgt gleichzeitig für einen besseren Zugang zur Galerie im Souterrain. Es ist also nicht nur eine kosmetische Veränderung, sondern ein umfangreicheres städtebauliches Vorhaben. Wenn die Vertreter der kommunalen Selbstverwaltung im Dezember das Geld für das Projekt genehmigen, könnte es schon im Herbst nächsten Jahres in Louny eine Piazzetta geben, wegen der man von Prag und anderswo dorthin reisen wird.
Petr Volf, Rubrik „Volfův revír“ (Wolfs Revier) in der Beilage „Ego“ der Zeitung „Hospodářské noviny“, 1. 12. 2017, Nr. 48, S. 38.
Artikel von Petr Volf in der Beilage „Ego!“ der Zeitung „Hospodářské noviny“