Josef Hlaváček: Fragen an Zdeněk Sýkora (Otázky pro Zdeňka Sýkoru)
Optische Kunst (Hard Edge, retinale, kinetische Kunst) war bis vor Kurzem in der geometrischen Abstraktion absolut en vogue. Am Beginn dieser Strömung stehen sicherlich die kühlen Kompositionen von Piet Mondrian aus dem Jahr 1913 und die früheren Werke von Malewitsch und den anderen russischen Konstruktivisten; nicht zufällig wurden diese Ansätze dann durch die Arbeit des Weimarer und Dessauer Bauhauses synthetisiert. Meist sind es auch Lehrer und Schüler des Bauhauses, die – als zweite Welle – die Ideale der geometrischen und konstruktiven Kunst in ganz Europa verbreiten und diese Gedanken auch in die Vereinigten Staaten mitbringen (Max Bill, Richard Mortensen u.a.). Durch so manche Umtriebe am Bauhaus vorgezeichnet, bringt die dritte Welle dieser Kunst – insbesondere in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre – die starren Kompositionen der ersten und zweiten Welle in Bewegung; es beginnt wohl mit der Gründung der Gruppe M. A. C. (Movimento arte concreta) in Italien (1948), ähnliche Bestrebungen manifestieren dann beispielsweise die Ausstellung der Künstlergruppe Exat 51 in Zagreb (1951), die Ausstellung konkreter Kunst in Zürich (1960 – die Gruppe Equipo 57, die Mailänder T 60, die deutsche Gruppe Zero u.a.) und schließlich die Ausstellungen mit dem einfachen Titel „Neue Tendenzen“ (an denen Sýkora beispielsweise 1964 in Zagreb teilnimmt). /Redaktionelle Anmerkung: Zdeněk Sýkora nahm in Wirklichkeit 1965 an der Ausstellung „Nova Tendencija 3“ in Zagreb teil./
Außer der monolithisch einsamen Figur Kupkas findet man in der tschechischen Kunst keine Voraussetzungen für die Entwicklung von Kunst dieses Typs. Die kubistischen Impulse werden in einer anderen Richtung weiterentwickelt; zum einen in eine alles in allem der französischen Tradition verpflichtete Richtung, zum anderen – nach dem kurzen Intermezzo der Gruppe Devětsil, das eher durch den theoretischen Beitrag von Karel Teige geprägt war als durch Werke der Malerei – in Richtung einer imaginativen Kunst. Auch die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ändern an diesem Traditionsdefizit nichts. Umso überraschender ist die Wirkung des ersten „kinetischen“ Werks, der „Grauen Struktur“, die Zdeněk Sýkora 1963 ausstellt. Diese und einige weitere entstehen spontan, schon bald kündigt sich jedoch die Zusammenarbeit mit einem Mathematiker an, und so entstehen die nächsten Strukturen mithilfe des Computers, dem der Künstler bestimmte Aufgaben überträgt. So führt Sýkora seine „postmalerische Abstraktion“ in die tschechische Szene ein. Für dieses Mal verzichte ich – nach einigen wenigen grundlegenden historischen Fakten – auf eine theoretische Erläuterung von Sýkoras Arbeit und halte es für sinnvoller, ihm ein paar Fragen zu stellen, die das Problem Op-Art im Allgemeinen und die Genese seines Werks im Besonderen betreffen.
Bevor ich auf die erste Frage antworte, möchte ich ein paar Worte zu deiner Einleitung sagen. Du sprichst darin von der einsamen Rolle Kupkas in der tschechischen Kunst, das bedeutet, dass du die bei uns gepflegte Fama von der lyrischen Prägung der tschechischen Kunst übernommen hast, mit anderen Worten, dass du die Meinung teilst, dass die konstruktive Kunst bei uns keine Tradition hat. Diese lyrische Prägung gibt es zum Glück nur in der Darstellung der tschechischen Kritik, die, auch was ihre großen Vertreter angeht, eine Affinität zur Literatur hatte. Die literarische Transposition eines Kunstwerks ist nämlich sehr viel einfacher als das Erfassen der Essenz seiner Form: Deshalb wird auch eine Kunst bevorzugt, über die man leicht schreiben kann, gegenüber einer Kunst, die man in erster Linie verstehen muss.
Eine Kunst, die sich auf die Tradition berufen und sich mit ihrer Hilfe rechtfertigen muss, ist nicht gerade in der besten Verfassung. Im Übrigen hat Kunst immer eine Tradition, ob sie will oder nicht. Auch die konstruktive Kunst hat sie – bei uns genauso wie überall sonst. Um stellvertretend zwei Beispiele zu nennen: Die Frage ist doch, ob wir in Antonín Slavíček den Meister der Altprager Atmosphäre und der rührenden Armut des Dörfchens Kameničky sehen oder den genialen Schöpfer monumentaler Bilder, der mit einem ungewöhnlich konstruktiven Geist, einem sicheren Auge und einem perfekten Blick begabt war, oder ob wir in Jan Preisler nur den tschechischen Vermittler der Jugendstilatmosphäre sehen und dabei seinen großen Beitrag zum modernen Bildaufbau, seine Arbeit mit den konstruktiven Eigenschaften der Farbe und seine generelle koloristische Originalität außer Acht lassen. Und da nenne ich keine Beispiele, die auch für den oberflächlichen Beobachter auf der Hand liegen: Kubišta, Čapek, Foltýn, Preissig... Die Fragen der Tradition waren bei uns bislang nur Gegenstand taktischer Manöver, weshalb es besser wäre, sie auszuklammern, solange sich nicht Personen finden, die in der Lage bzw. besser in der Lage sind, sich unvoreingenommen und verantwortungsvoll mit ihnen zu beschäftigen.
Beginnen wir vielleicht mit dem Grundlegendsten: Welche der üblichen Bezeichnungen trifft auf deine Art von Kunst am besten zu? Es wird von geometrischer und konstruktiver Kunst gesprochen, die Amerikaner prägten bei der jüngsten Ausstellung (Responsive Eye) /Redaktionelle Anmerkung: Die Ausstellung „Responsive Eye“ fand 1965 im Museum of Modern Art in New York (MoMA) statt. Die Ausstellung etablierte den Begriff „Optical Art“ (Op-Art) in der internationalen Szene. Es stellten dort unter anderem Victor Vasarely, Bridget Riley, Max Bill, Frank Stella, Getulio Alviani, Josef Albers, Piero Dorazio und die Gruppe Equipo 57 aus. Einige der dort vertretenen Künstler präsentierten sich in der Ausstellungsreihe „Neue Tendenzen“ in Zagreb, an der Zdeněk Sýkora ab 1965 teilnahm. Gemeinsam mit Josef Hlaváček verfolgte er sehr sorgfältig das aktuelle Geschehen, wovon auch Hlaváčeks Übersetzung des Vorworts von William C. Seitz aus dem Katalog Responsive Eye zeugt, die im Archiv Lenka und Zdeněk Sýkora (im Folgenden Archiv LZS) erhalten und auf 1965 datiert ist. Gemeinsam nahmen sie dann 1969 an der Zagreber Ausstellung „Neue Tendenzen“ teil, Sýkora als Ausstellender, Josef Hlaváček als Vortragender beim Symposium./ den Begriff „retinale Kunst“ (gegen diese Bezeichnung und ein solches Verständnis dieser Kunst protestierte Albers persönlich und verwies auf die Tatsache, dass es nicht nur darum gehe, die Netzhaut zu reizen), es wird jedoch auch der Begriff Hard Edge verwendet (insbesondere für die Albers’sche Schule) sowie die recht allgemeine Bezeichnung Op-Art. Es gibt auch Vorbehalte gegenüber dem Begriff „kinetische Struktur“ (es wird damit argumentiert, dass sich das Objekt ja nicht aktuell bewegt, sondern eigentlich nur potenziell, die Bewegung entsteht bei der Betrachtung, erst auf der Netzhaut).
All diese Begriffe sind meist nur Bezeichnungen für eine bestimmte Art der heute bereits sehr umfangreichen künstlerischen Aktivitäten, die ich im weitesten Sinne als „Kunst ohne Pinselduktus“ definieren würde. Mit dieser Bezeichnung klammern wir aus der bildenden Kunst der Vergangenheit und Gegenwart die Strömungen aus, bei denen das Resultat, das fertige Werk, entscheidend ist, und unterscheiden sie von denen, die den Schaffensprozess betonen; weniger genau wird von klassischem oder romantischem Stil gesprochen. Der Begriff „optisch“ ist nicht allgemein (auch wenn er manchmal so verwendet wird), er bezeichnet die Strömungen, deren Ziel die optische Illusion eines Raums oder einer Bewegung ist (Vasarely, Riley u.Ä.). Das Wort „retinal“ gefällt mir auch nicht, denn bildende Kunst ist immer retinal, aber sie ist auch nie ausschließlich retinal. Ich selbst nenne meine Arbeiten einfach Strukturen, denn das entspricht dem kombinatorischen Prinzip, das ich anwende, und Effekte der Bewegung oder Instabilität sind nur Nebenprodukte dieses Prinzips. Wann der Begriff „kinetisch“ tatsächlich verwendet werden sollte? Das ist eine Frage, die für die heutige Wissenschaft – angefangen bei der Philosophie – unlösbar ist, hier kann man nur eine Übereinkunft treffen.
Könntest du deinen Weg zu den Strukturen rekonstruieren? Soweit ich weiß folgten auf ein kubistisches Intermezzo während der Kriegs- und Nachkriegszeit viele Jahre der postimpressionistischen Freilichtmalerei, hauptsächlich Landschaften, zuletzt in einem Bonnards’schen Geist. Nach 1958 war eine Abkehr von der detaillierten Darstellung der Landschaft und die Hinwendung zu einer summarischeren Erfassung der gesehenen Wirklichkeit zu beobachten. Der Zyklus „Gärten“ (ein Teil davon wurde 1959 im Repräsentationshaus „Obecní dům“ in Prag ausgestellt) /Redaktionelle Anmerkung: In Wahrheit handelte es sich um eine Ausstellung der Künstlervereinigung „Umělecká beseda“, 4. – 15. 5. 1960, Repräsentationshaus „Obecní dům“ der Hauptstadt Prag. Sýkora stellte (noch als Gast) zwei Bilder aus: Garten I – Öl/Leinwand, 100 x 74 cm, 1959, und Garten II – Öl/Leinwand, 65 x 76 cm, 1959. In der Jury der Ausstellung waren u.a. Karel Lidický, Cyril Bouda und Martin Salcman, Sýkoras Lehrer und Kollegen aus der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität./ verkörperte bereits eine Malerei, die die gesehene Wirklichkeit nur als Impuls für die Organisation der selbständig existierenden Bildfläche nutzte, die noch malerisch gestaltet wird, sich aber aus großen organischen Formen zusammensetzt. Das Jahr 1960 steht für den Abschied vom sinnlichen Zauber der Farbe; die meist bereits flächigen Formen schienen sich zwischen zwei Möglichkeiten zu entscheiden: zwischen der strengen geometrischen Abstraktion und der Unverbindlichkeit der freien Pinselgestik, durch die das unmittelbare Erlebnis vermittelt wird. Noch 1961 sind auf den strengen und ausgewogenen geometrischen Kompositionen Pinselspuren und mitunter auch hohe Farbstrukturen zu erkennen. Schon ein Jahr später jedoch hast du in der Galerie „Nová síň“ (mit der Gruppe MS 58) /Redaktionelle Anmerkung: Es handelte sich um eine Ausstellung der Gruppe MS 63 (MS = malíři-sochaři – Maler-Bildhauer). Die Ausstellung fand von Februar–März 1963 in der Galerie „Nová síň“ in Prag statt. Zur Gruppe gehörten neben Zdeněk Sýkora auch Karel Čermák, Václav Irmanov, Bohuslav Lamač, Jiří Novotný, Jiří Patera, Jiří Procházka und Jana Irmanová (als Gast)/ große Leinwände mit riesigen flächigen, glatten Formen in neutralen Farben ausgestellt, die an manchen Stellen illusionistische inverse Perspektiven nutzten. In der Zeit dieser Ausstellung entstand jedoch bereits die Graue Struktur, die 1963 fertiggestellt wurde. Wenn ich diese Entwicklung richtig beschrieben habe, könntest du sagen, welche Vorstellung von Malerei dich in den einzelnen Schaffensphasen geleitet hat und wie sich diese Vorstellung veränderte bzw. welche Modifikationen deine Grundhaltung erfahren hat?
Meinen gesamten Weg von den Anfängen irgendwann im Jahr 1940 zu rekonstruieren, wäre sehr langwierig. Ich versuche, nur die wichtigsten Züge nachzuzeichnen. Ich beginne mit einer Art Schema meiner künstlerischen Überlegungen:
1. Von der Natur geweckte Emotionen – Malerei – Landschaftsbild.
2. Von der Natur geweckte Emotionen – Malerei – Bild.
3. Malerei – Bild – Emotionen.
4. Programmieren – Berechnung und Ausführung – Emotionen.
Die historische Form dieses Schemas würde in etwa so aussehen: Während des Krieges war es Amateurmalerei, die von allem Möglichen beeinflusst war, zunächst vom Surrealismus, dann von der Gruppe 42 und schließlich vom Kubismus. (1) Erst der Studienbeginn bedeutet den Anfang einer systematischen Lehrzeit. Es entstehen Landschaften, zunächst realistische, mit einem fließenden Übergang zu impressionistischen und dann fauvistischen; (2) das endet 1959 mit dem Zyklus Gärten. Nach den Gärten kommen Bilder, die aus runden Flecken bestehen, deren zunächst noch fauvistische Farbigkeit sich zu chromatischen Kompositionen aus warmen Farben und Flecken wandelt, (3) die allmählich immer eckiger werden. Danach folgen dann schon geometrische Kompositionen unter Verwendung reiner Farben oder von Schwarz – Grau – Weiß oder mit den genannten Farbtönen ergänzt durch eine reine Farbe. Am Ende dieser Zeit arbeitete ich schon an der Grauen Struktur, die den Beginn der letzten Schaffensphase (4) bedeutet. Nach ihr entstanden noch mehrere (ornamentale) Strukturen; danach ging ich dann aber bereits in Zusammenarbeit mit J. Blažek zum Programmieren und zu plastischen Strukturkonstruktionen über, mit denen ich mich bis heute beschäftige. /Redaktionelle Anmerkung: Jaroslav Blažek (1925–2007), Mathematiker, Hochschulpädagoge. Er absolvierte das Realgymnasium Louny und studierte danach Mathematik und deskriptive Geometrie an der Karlsuniversität Prag, wo er auch fast sein ganzes weiteres Leben tätig war. Er widmete sich der Algebra, insbesondere der Didaktik für Mathematiklehrer. Ab der Mitte der sechziger Jahre arbeitete er zehn Jahre lang mit Zdeněk Sýkora an den Strukturen zusammen, später schuf er selbst Computergrafiken und stellte auch aus./
Schließlich die menschliche Form dieses Schemas:
1. Plackerei – ein bisschen Freude.
2. Plackerei – ein bisschen Freude.
3. Plackerei – ein bisschen Freude.
4. Plackerei – Plackerei – ein bisschen mehr Freude.
Die ersten drei Epochen hatten natürlich ihre großen Vorbilder:
1. Slavíček, Prucha, Bonnard, Matisse.
2. Matisse, Poliakoff.
3. Kupka, Herbin, Vasarely.
In der vierten Schaffensphase, also jetzt, fühle ich mich zu verschiedenen Zeiten und Konzepten hingezogen.
Könntest du den schöpferischen Prozess beschreiben, der dich dazu brachte, 1963 die erste Graue Struktur zu konzipieren? Als dir der Grundentwurf für dieses Bild in den Sinn kam, hattest du eine bestimmte Absicht: Deckte sich deine ursprüngliche Absicht mit der Wirkung des fertigen Bildes?
Der Anfang fällt, wie ich schon in der vorherigen Antwort erwähnt habe, etwa in das Jahr 1962, als ich Bilder aus großen geometrischen Flächen machte. Damals kam ich beim Lesen von Klees Pädagogischem Skizzenbuch /Redaktionelle Anmerkung: Zdeněk Sýkora hatte vor allem folgende Passage angesprochen (in einer Übersetzung Hlaváčeks fand sie sich auch im Katalog zu Sýkoras Ausstellung in der Václav-Špála-Galerie im Jahr 1970): „Gliederungs- und Bewegungselement der Fläche ist ihre Struktur. Diese wird erkennbar als strukturaler Rhythmus, der von der primitivsten Reihung bis zu komplizierten Taktbildungen aufsteigen kann. Merkmal ist die Wiederholung einer Einheit. Man kann Teile fortnehmen oder hinzufügen, ohne den rhythmischen Charakter, der auf der Wiederholung beruht, zu verändern. Leitsatz: der strukturale Charakter ist dividuell. Dieses Zitat stammt in Wirklichkeit nicht direkt aus Klees Pädagogischem Skizzenbuch, sondern aus folgendem Buch von Werner Haftmann: Paul Klee, Wege bildnerischen Denkens, Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg 1961. Einen Teil dieses Buchs übersetzte Josef Hlaváček ins Tschechische. In seinem Text von 2003 mit dem Titel Memories are memories (Archiv LZS) erinnert er sich: „Vladislav Mirvald schenkte mir damals die englische Übersetzung einer Paul-Klee-Monografie aus der Feder Werner Haftmanns. Mich sprach das Kapitel über das Pädagogische Skizzenbuch an, und so übersetzte ich es und bat Zdeněk Sýkora, die Übersetzung an Dr. Lamač für das Kunstmagazin „Výtvarné umění“ (Bildende Kunst) weiterzugeben. Dieser lehnte die Übersetzung ab, weil es sich um die Übersetzung einer Übersetzung handelte. Klees Ausführungen zur Entstehung einer Struktur scheinen es Sýkora – während der Busfahrten nach Prag fand er Zeit zum Lesen – aber dennoch angetan zu haben. Diese sich zufällig ergebende Anregung durch Klee beendete offenbar die Suche, die den erwähnten beiden Pfeilen gefolgt war, und gab den Startschuss zu einem riskanten und mutigen Schritt – zur „Grauen Struktur“.“/ – der Stelle, wo er über die Entstehung einer Struktur spricht – auf den Gedanken, die gesamte Bildfläche durch ein rechteckiges Raster zu unterteilen und die einzelnen Felder dieses Rasters weiter durch dieselbe geometrische Figur in fünf kleine Flächen zu gliedern, in denen zwei Grautöne, Schwarz und Weiß einander abwechseln. Diesen Gedanken begann ich sofort umzusetzen. Bei der Arbeit bemühte ich mich darum, dass sich die Aufteilung von Grau, Schwarz und Weiß so wenig wie möglich wiederholt. Ich erwartete nichts davon, aber ich war von der Arbeit daran regelrecht besessen. Das Ergebnis überwältigte mich. Es mag übertrieben scheinen, aber du solltest bedenken, was damals aktuell war, was ausgestellt wurde, was in der tschechischen und ausländischen Fachpresse publiziert wurde. Kurze Zeit wusste ich nicht, was ich damit anfangen soll, und ich machte weiter mit der großflächigen Geometrie, schloss die begonnenen Sachen aber nicht mehr ab. Die Entscheidung war gefallen.
Viele Künstler, die man den „Neuen Tendenzen“ oder der Bezeichnung Op-Art zuordnen kann, sehen in ihren Werken nur ein Mittel zur Kultivierung des menschlichen Sehens, zur Erhöhung der Sensibilität des Menschen gegenüber der Realität. Ich denke aber, dass es – wenn es sich um echte Kunstwerke handelt – bei optischen bzw. kinetischen Kreationen um mehr geht; dass sie ein Modell für die Bewegung der Wirklichkeit sein können (auf welcher Ebene auch immer – von der physikalischen über die chemische und biologische bis hin zur gesellschaftlichen). Ich denke, dass deine Strukturen ein solches Modell sind. Was meinst du? Malst du sie in dieser Absicht oder ist ihre „Modellhaftigkeit“ ein selbstverständliches Ergebnis des spontanen künstlerischen Schaffensprozesses?
Die Aktivierung der visuellen Seite des Kunstwerks ist offensichtlich sowohl zu einem Bedürfnis der Künstler als auch der Betrachter geworden. Die „Neuen Tendenzen“ und ähnliche Strömungen befassen sich tiefgreifend und verantwortungsvoll mit visuellen Problemen. Das logische Bedürfnis, mit der Wissenschaft zusammenzuarbeiten, die bemerkenswerte Ähnlichkeit der Denkweise sowie die gleichartige Modellhaftigkeit von Kunst und Wissenschaft zeigen, dass es sich nicht um etwas Unbedeutendes oder Vorübergehendes handelt. Es geht nie um die Imitation oder Illustration eines physikalischen oder biologischen Modells der Wirklichkeit; die Spezifität der Fachgebiete und ihrer jeweiligen Denkweise bleibt unberührt. Der Umstand, dass diese „visuelle Kunst“ eine so aufrichtige soziale Kommunikation bewirkt hat, ohne Skandale und ich würde sagen mit allem gebührenden Respekt und dabei gegen den Widerstand eines großen Teils der konventionellen Kunstkritik, zeugt davon, dass ihr Wesen nicht allein in der Kultivierung des menschlichen Sehens und der Vertiefung der Sensibilität liegt. Darauf, dass meine erste graue Struktur und natürlich auch die anderen gewisse Gemeinsamkeiten mit biologischen und physikalischen Modellen aufweisen oder den Erkenntnissen der Gestaltpsychologie entsprechen, wurde ich erst aufmerksam gemacht, nachdem ich sie ausgestellt hatte und es in den Publikationen von Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachgebiete zu lesen war. Bei der Arbeit hatte und habe ich nur meine künstlerischen Probleme im Sinn. Ich bemühe mich aber seit dieser Zeit darum, mit Spezialisten verschiedener Wissenschaftsdisziplinen zusammenzuarbeiten, was für beide Seiten anregend ist.
Alle geometrische Kunst, deren späte Frucht auch die Strukturen sind, erwuchs aus der Ablehnung der romantischen Attitüde; an die Stelle des gehetzten und leidenden Individuums sollte ein Künstler treten, der das Chaos der Realität systematisiert und ordnet, an die Stelle des ohnmächtigen Widerstands gegen die ungerechte Gesellschaft sollte ihre Planung, ihre Konstruktion treten. Es lag viel Naivität und Utopie darin. Der Wille zusammenzuarbeiten, der Wille, etwas zur Überbrückung der Kluft zwischen Kunst und Publikum beizutragen, jene konstruktive Geste blieb aber – denke ich – auch weiterhin das Credo dieser Bewegung. Wie ist deine Meinung dazu?
Die konstruktive Kunst ist aus dem Bemühen um eine Selbstreinigung heraus erwachsen. Die Entmythisierung und der Antiromantismus gehören in der Tat zu ihren Merkmalen. Die Projektion konstruktiver Gedanken auf die gesellschaftlichen Beziehungen war bei einigen der Begründer dieser Strömung tatsächlich utopisch und naiv, aber vor allem standen lautere Absichten dahinter. Das Bedürfnis, die gesellschaftlichen Beziehungen in der Welt zu läutern, ist keine naive Forderung, leider aber nach wie vor eine utopische. Die Frage der Überbrückung der Kluft zwischen Kunst und Publikum ist sicherlich eine der interessantesten. Dass es tatsächlich zu einer Annäherung kam, hat vor allem folgende Ursachen: Einigen Künstlern ist bewusst geworden, dass alle Menschen gehetzt und leidend sind. Kunst wird zu einer zivilen, bürgerschaftlichen Aktivität; die gesellschaftliche Stellung des Künstlers sollte die Qualität seiner Arbeit honorieren und seine Arbeit nicht als besondere Kategorie betrachten. Kunst wird wieder elementar und Gegenstand eines offenen Erkundungsprozesses; dass dem die genauso unvoreingenommen gestellte Frage „Wer bin ich?“ vorausgehen musste, liegt auf der Hand. Dies führt dann zu einer größeren gesellschaftlichen Akzeptanz sowohl gegenüber dem Künstler als auch gegenüber der Kunst. Ich spreche selbstverständlich für alle Arten von Kunst, die sich zu diesen Ideen bekennen, nicht nur für die konstruktive. Ich selbst habe mich nie um die Kluft zwischen Kunst und Betrachter gekümmert; wenn aber manche Kunstformen, zum Beispiel der Konstruktivismus, zur Überbrückung dieser Kluft beitragen, freut mich das.
Teil der antiromantischen Haltung der geometrischen und der auf Geometrie beruhenden Kunst ist auch die Unterdrückung der Originalität oder zumindest ein anderes Verständnis derselben. Der Künstler wird (etwa wie im Bauhaus oder – wie Vasarely betont – wie im Mittelalter) eher als Handwerker, als Konstrukteur verstanden, der seine Arbeit gut verrichtet. Mitunter führt diese Ablehnung der Originalität gar in die Anonymität von Arbeitsgruppen, von Teams. Kann man zum Beispiel deine Zusammenarbeit mit dem Mathematiker Jaroslav Blažek als Teamarbeit betrachten? Wäre bei uns die kollektive Arbeit mehrerer Künstler möglich? Unter welchen Umständen?
Du gestattest, dass ich die abschreckenden Formulierungen, wie „antiromantische Haltung“ oder „Unterdrückung der Originalität“ ins rechte Maß setze. Ich werde nur deine Frage behutsamer formulieren und das Fragezeichen weglassen: Konstruktive Kunst versteht die Rolle des Individuums weniger exklusiv als die Romantik, der Künstler hat in der gesellschaftlichen Gesamtstruktur keine so herausragende Stellung. Daraus resultiert auch, dass der Drang nach Originalität in den Hintergrund tritt, was bei der Arbeit in Teams beinahe zur Anonymität führt. Das Werk trägt nur den Namen der Gruppe (des Teams). Meine Arbeit mit Jaroslav Blažek ist Teamarbeit. Ein Hindernis für die Teamarbeit mehrerer Künstler ist bei uns vor allem die Eitelkeit der Partner, auch die beschränkten technischen Möglichkeiten; aussichtsreicher sind da vielleicht Teams aus einem Künstler und mehreren anderen Spezialisten. Ansonsten halte ich Teamarbeit für die einzig mögliche Arbeitsform in allen Fachgebieten.
Noch etwas, das mit der vorherigen Frage zusammenhängt: Ist die Ablehnung der Originalität als völlige Ablehnung derselben zu verstehen, als Transformation der Kunst in die Arbeit mit einer Reihe konstanter Kompositionselemente und Gruppen konstanter Formen? Ist das in der Realität so? Wie empfindest du selbst die Übereinstimmungen bzw. Unterschiede zwischen deinem Werk und zum Beispiel Agam, Vasarely und anderen Künstlern dieses Typs? Wie stellst du dir die weitere Entwicklung der geometrischen Kunst vor?
Kunst und somit auch die konstruktive Kunst ist ein Werk des Menschen, und deshalb kann es nicht zu so klar abgegrenzten theoretischen Formen kommen. Wohin sie sich entwickelt, kann man sich schwer vorstellen. Josef Albers antwortet auf diese Frage: „Ich hoffe, dass klare Köpfe an der Spitze stehen werden“, hoffen wir also mit ihm. /Redaktionelle Anmerkung: Das Zitat stammt aus dem Interview: Leif Sjöberg, Otázky Josefu Albersovi (Fragen an Josef Albers), Typoskript, Archiv LZS./ In Wahrheit wird der Mensch von existenziellen Umständen und von sich selbst als menschlichem Typus in seine Positionen gedrängt. Ich habe zum Beispiel eine Abneigung gegen Dunkelheit, Unbestimmtheit und Unklarheit. Vielleicht ist meine Arbeit nur deshalb so, wie sie ist. Die Feindseligkeit von Menschen, die durch eine typologische oder andere Disposition genötigt sind, auf die Wirklichkeit oder die Kunst anders zu reagieren, ist deshalb für mich völlig unverständlich.
Die Frage der Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen meiner Arbeit und insbesondere Vasarely beantworte ich ausführlicher, denn ich wurde von einigen Kritikern scharfsinnig als sein Epigone entlarvt. Ich übernehme also ihren Job und erörtere morphologisch die Unterschiede zwischen seinem Werk und meiner Arbeit.
Vasarelys Werk stellt in erster Linie die Vollendung des Neoplastizismus dar, überwiegend innerhalb der Grenzen dieses Begriffs. Es geht immer um die Komposition künstlerischer Formen in der Fläche. Ich erläutere nun einige Arbeitsweisen, die für ihn typisch sind.
Zum ersten Typus gehören Bilder, bei denen raffinierte geometrische Formen, die in die Mitte der Bildfläche eingefügt werden, mit dieser eine Einheit bilden, die sich an den Grenzen des Gleichgewichts bewegt. Für diese Bilder sind warme Farben typisch.
Der zweite Typus umfasst Flächen, die durch ein regelmäßiges quadratisches oder kreisförmiges Raster untergliedert sind, wobei die sekundär eingefügte Gruppe geometrischer Formen mit ihren Umrissen Teile der Kreise oder Rechtecke des Grundrasters unterbricht; hier entsteht ein psycho-pyhsiologischer Effekt der Bewegung, der dadurch hervorgerufen wird, dass das sich bewegende Auge abwechselnd das Grundraster und das sekundäre Formenraster wahrnimmt. Eine Variante dieses Typus sind Bilder, in denen zum Beispiel quadratische Formationen des Grundrasters allmählich in rautenförmige übergehen und dann wieder zu quadratischen zurückkehren (oder kreisförmige gehen in elliptische über usw.).
Zu den bedeutendsten gehört seine schwarz-weiße Abstraktion, bei der ein vertikales Raster mit schwarz-weißen Streifen die Grundlage bildet, die durch eine meist diagonale Formengruppe durchtrennt werden. Dort, wo sich diese Raster überschneiden wechselt die Farbe der schwarzen Linien zu Weiß und umgekehrt. Auf diese Weise entstehen sehr komplizierte und aggressive Formationen.
Um 1963 entsteht ein Bildtypus, bei dem ein quadratisches Raster mit Formen ausgefüllt wird, wobei er in die Mitte der grundlegenden Quadrate eine andere geometrische Form einfügte (ein kleineres Quadrat, ein Dreieck, einen Kreis oder eine Ellipse). Diese Einheiten werden wiederum zu Quadraten, Rechtecken, Dreiecken u.Ä. angeordnet.
Aus der letzten Zeit kennen wir eine Reihe von Siebdrucken von einzigartiger Vollkommenheit, bei denen sanfte Farbabstufungen genutzt werden, um räumlich-kinetische Effekte zu erzielen.
Die Farben, auch die kräftigsten, sind bei Vasarely immer das Ergebnis einer kultivierten künstlerischen Abwägung (er arbeitet nie nur mit ihrer elementaren Kraft), sie haben immer eine bestimmte metaphorische Bedeutung, was dadurch bekräftigt wird, dass er seine Bilder nach Sternen benennt. Ich betone noch einmal, dass es Vasarely immer darum geht, durch die Komposition künstlerischer Formen räumlich-kinetische Effekte (Illusionen) zu erzielen. Der Charakter der Einheiten, mit denen er das Raster ausfüllt, ist zentral, sodass die einzelnen Einheiten wie durch die Fugen eines Mosaiks voneinander separiert werden, es ist nicht möglich, sie zusammenzufügen oder zu einer neuen Form zu verbinden, auch nicht, sie voneinander zu trennen. Darum geht es Vasarely eindeutig nicht, mir dagegen ist gerade daran gelegen. Dir ist sicherlich klar, dass keines der genannten Prinzipien in meiner Arbeit auftaucht.
Nun erläutere ich kurz meine eigenen Arbeitsmethoden: Das grundlegende Merkmal ist, dass es um die kombinatorischen Beziehungen und die Lage mehrerer (vom Kreis abgeleiteter oder durch die Teilung eines Quadrats entstandener) Grundelemente zueinander geht, die so gewählt werden, dass sie sich zu neuen Einheiten verbinden oder aber sich voneinander isolieren können. Diese beiden Bedingungen können erfüllt werden, ohne dass die Elemente ihre Lage in der Fläche verändern, es genügt, wenn sie sich auf der Stelle in die – bezogen auf ihre Nachbarn – erforderliche Position drehen. Die gesamte Struktur ist ein organisches Ganzes, das exakt nach den gewählten Regeln aufgebaut ist. Die Drehung eines Elements im Ausgangsprogramm bedeutet die Veränderung der gesamten Struktur. Daraus wird, denke ich, deutlich, dass es nicht um die Komposition einer Fläche geht, sondern um das Konzipieren programmierbarer Elemente und eines Programms, das die Grundlage für die Entstehung einer Struktur bilden kann. Der Bildrand ist dabei eigentlich keine Grenze, sondern die Struktur setzt sich nach allen Seiten hin fort. Vollkommen deutlich wird die Absicht in meinen neuen Arbeiten, bei denen das Grundraster nicht senkrecht, sondern schräg ist. Durch die Ränder der gewählten Fläche werden einige Elemente abgeschnitten, wodurch klar vor Augen geführt wird, dass es sich um einen Ausschnitt aus einem Kontinuum handelt, das sich nach allen Seiten hin fortsetzt.
Was verstehst du unter dem Begriff „Ordnung“: etwas, das die Grundlage aller Dinge ist und das wir bisher noch nicht vollkommen kennen und erlebt haben, oder etwas, das nur die Bildfläche auszeichnet und von dort nur metaphorisch in andere Bereiche der Erfahrung und der Wirklichkeit übertragen werden kann?
Sicher geht es um den Versuch, sich durch seine Arbeit dem Gefühl einer Ordnung, die ich tatsächlich als gemeinsame Grundlage aller Dinge verstehe, anzunähern oder ein Gefühl der Ordnung hervorzurufen. Für mich ist es die Konstruktion von Strukturen, durch die ich versuche, das Gefühl dieser Ordnung zu wecken. Über dieselben Möglichkeiten verfügen alle Bereiche von Kunst und Wissenschaft, deren emotionale Möglichkeiten offenkundig sind.
Ist es da vielleicht die Rechenmaschine, die es dir ermöglicht, sich vollkommener dieser Ordnung zu nähern? Warum verwendest du in einer gewissen Phase den Computer? Um die menschliche Spontaneität bei der Suche nach der Ordnung des Bildes zu korrigieren, um das menschliche Element völlig aus der Kunst zu verbannen? Worin besteht bei den Strukturen der schöpferische Prozess, wenn der Computer eine Reihe von Funktionen übernimmt? Kann man den Computer beeinflussen? Wenn das möglich ist, was sind die Beweggründe für diese Beeinflussung, welche Ziele verfolgst du damit?
Die Rechenmaschine fungiert in meiner Arbeit wie jedes andere Werkzeug, aber sie hat verständlicherweise ihre eigene beschränkte Funktion. Als ich beschloss, meinen künstlerischen Elementen Zahlen zuzuordnen, diese dann als solche zu organisieren, zu berechnen und das Ergebnis anschließend in eine künstlerische Form zu überführen, war die Verwendung des Computers die logische Folge. Im Übrigen denke ich, dass die Verwendung einer Berechnung (von Hilfslinien oder der Perspektive) bis weit in die Vergangenheit zurückreicht und nichts Neues ist. Die Berechnungen wären auch ohne Maschineneinsatz möglich, das haben wir anfangs bei kleinen Probeformaten letztendlich auch gemacht; bei größeren Formaten wäre es zeitlich untragbar: hier macht sich die Geschwindigkeit der Maschine bezahlt.
Hat etwa die Schreibmaschine das menschliche Element aus der Literatur verdrängt? Die Rechenmaschine ist ein Werk des Menschen und hat die Aufgabe, seine Möglichkeiten zu potenzieren. Du hast aber darin Recht, dass sie einige menschliche Unzulänglichkeiten korrigiert. Der Mensch hat die Tendenz, gegen die Regeln zu verstoßen, die er aufgestellt hat. Bei der instinktiven Zusammenstellung der Struktur würde ich zum Beispiel nicht zulassen, dass sich ein Element zehnmal nebeneinander wiederholt, das würden meine künstlerischen Konventionen verhindern. Eine Maschine hat keine derartigen Konventionen, sie hält sich konsequent an das festgelegte Programm bzw. die Regeln. Bei dieser Arbeitsweise kann die ursprüngliche Absicht nie verloren gehen und es kann nicht zu unerwarteten Ergebnissen kommen, was beim spontanen Schaffensprozess recht häufig vorkommt (das ist seine Schwäche und zugleich seine Stärke). Wenn aber beide Methoden hinlänglich prinzipientreu sind, zeichnen sich beide Ergebnisse durch eine homogene Vielfalt aus. Um Strukturen schaffen zu können, muss man, wie bereits gesagt, Elemente entwickeln, die programmierbar sind, des Weiteren ein Programm erstellen, dann die Vorgaben für die Maschine zusammenstellen, bis schließlich die eigentliche Umsetzung des Ergebnisses folgt. – Die Frage, ob man den Computer irgendwie beeinflussen kann, würde ich anders formulieren: Man muss von bestimmten Eigenschaften des Computers ausgehen. Die Maschine hat zum Beispiel die Eigenschaft, dass sie beim Lesen des Programms zeilenweise vorgeht, wie der Mensch beim Lesen einer Buchseite, d.h. von links nach rechts und schrittweise von oben nach unten. Das hat Einfluss auf das Ergebnis. Wenn ich zum Beispiel in der Bildachse einen dunklen senkrechten Streifen programmiere, würde sich das Ergebnis verschieben, als würde es zur rechten Seite hin verschwimmen. Wir lösten das Problem, indem wir die Maschine ungerade Zeilen normal lesen lassen und gerade von rechts nach links, also in umgekehrter Richtung.
Du hast also gezeigt, wo der Künstler und wo die Maschine ihren Platz haben. Wenn wir uns aber den Schaffensprozess Phase für Phase vornehmen, dann scheint mir die Maschine gerade in jener letzten Phase zu fehlen, in der Phase der Umsetzung, die du bis jetzt gezwungenermaßen in regelrecht Cennini’scher Manier realisierst. Wie lösen das andere und wie behilfst du dir selbst? Das hängt vielleicht auch mit der Kehrseite der Sache zusammen: Nach welcher Umsetzung, welcher Nutzung verlangen die Konzepte für deine Strukturen? Was konntest du bis jetzt abgesehen von der üblichen Ölmalerei so umsetzen, dass es deinen Vorstellungen entsprach?
Die Rechenmaschine fungiert auf allen Gebieten jeweils als Hilfsmittel im Arbeitsprozess, sie produziert nicht selbst. Für Ausstellungszwecke, wo es vor allem um die Demonstration eines Konzepts geht, wende ich aus Transportgründen und auch wegen des Farbspektrums und der Haltbarkeit des Farbmaterials die „Cennini’sche Methode“ an. Außerdem verwende ich dort, wo es möglich ist, Spritzpistolen und Schablonen. Es handelt sich also nicht um Ölmalerei, sondern um die Verwendung von Ölfarben. Synthetische Materialien, wie beispielsweise Latex, benutze ich nur dort, wo man davon ausgehen kann, dass sie nicht die Haltbarkeit des Ergebnisses beeinflussen. Wenn die Ausführung perfekt ist, entspricht sie meinen Vorstellungen.
Einige Strukturen habe ich realisiert, indem ich die Elemente ausgestanzt habe (mit einer Stanzmaschine aus einer PVC-Platte, anschließend klebte ich sie dann auf dasselbe Material auf). Für Architekturprojekte habe ich Keramikkacheln, die in der Form der Elemente hergestellt werden und mit denen die Wand im Laubengang am Gebäude des Polnischen Informationsdienstes verkleidet wird. Außerdem ist eine Verkleidung aus Glasmosaik für die Lüftungstürme des Letná-Tunnels in Produktion.
Und zum Schluss eine ganz andere Frage: Sind deine Strukturen nur Entwürfe für Architekturprojekte oder sind sie auch autonome, eigenständige künstlerische Werke?
Meine Strukturen sind eigenständige künstlerische Werke, die sich in die Architektur integrieren lassen.“
Dieses Interview wurde erstmals in der Zeitschrift Výtvarné umění (Bildende Kunst), 1968, Jg. 18, Nr. 3, S. 110–119, veröffentlicht. Es ist im Buch Zdeněk Sýkora Rozhovory (Zdeněk Sýkora Interviews) zu finden.
Josef Hlaváček (1934–2008), Ästhetiker, Kunstkritiker und Kunstwissenschaftler. Er stammte aus Louny und war Sýkoras langjähriger Freund, schrieb seit der Mitte der sechziger Jahre über ZS. Hlaváček war einer der Gründer der Benedikt-Rejt-Galerie in Louny (1965). In den Jahren nach der Niederschlagung des Prager Frühlings publizierte er nur Samizdat-Schriften. Er ist Autor eines Textes über tschechische konstruktive Kunst: Český konstruktivismus 60. let a jeho vyznění (Der tschechische Konstruktivismus der 60er Jahre und seine Auswirkungen, Typoskript, Prag 1989 (offiziell erschienen 1993). Später wurde er Hochschulprofessor. Von 1994 bis 2000 war er Rektor der Hochschule für angewandte Kunst in Prag.