Jiří David: Zdeněk Sýkora 60 

Nur wenigen Kunstpädagogen ist es gelungen, ihre Lebenskunst so bewundernswert und fruchtbar mit ihrer bildenden und pädagogischen Kunst zu vereinen, wie Kamil Linhart /Anmerkung der Redaktion: Kamil Linhart (1920–2006), Maler und Pädagoge. Gemeinsam mit Zdeněk Sýkora studierte er nach dem Krieg an der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität bei Martin Salcman, Cyril Bouda und Karel Lidický Kunsterziehung. Ab 1950 war er Assistent an dieser Fakultät und 1965 wurde er zum Dozenten ernannt./ und Zdeněk Sýkora, beide Dozenten an der Pädagogischen Fakultät in Prag, beide dreißig Jahre lang, praktisch während der gesamten Nachkriegszeit bis heute, zunächst als Assistenten bei Professor Martin Salcman /Anmerkung der Redaktion: Martin Salcman (1896–1979), Maler und Pädagoge. Er studierte an der Prager Kunstakademie bei den Professoren Loukota, Preisler und Krattner. 1926–28 hielt er sich zum Studium in Paris auf. Ab 1946 war er Professor an der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität Prag./, dann selbst als Hochschulpädagogen. Sie schulten die ästhetische Wahrnehmung und den künstlerischen Ausdruck unzähliger junger Menschen, von denen viele später hervorragende Lehrer oder auch Künstler wurden. Ihre spezielle Art zu lehren ging über die üblichen Grenzen des Fachs hinaus. Sie bestand in Mitteilen und Teilen, Schaffen, Diskutieren und Appellieren.

Einmütig, was das Hauptziel – die Kunsterziehung – betrifft, und jeder für sich stehend, wenn es um ihre Umsetzung geht, verabschieden sich diese bemerkenswerten Sechzigjährigen von ihrer Arbeit an der Fakultät. Doch dies geschieht ohne Nostalgie, denn der Sinn ihrer Arbeit, ihrer Berufung, ändert sich dadurch nicht. Nur wir nutzten die äußeren Umstände des Jubiläums, um kurz zu verweilen: für eine von Herzen kommende Gratulation und für die folgenden Fragen, die ungefähr den Inhalt unseres Doppelinterviews abstecken sollten:

Wie schlug sich in deiner pädagogischen Arbeit die Beziehung zwischen Kunsterziehung und bildender Kunst nieder? Worin bestand das Wesen deiner Lehrmethode? Welche psychologischen Aspekte waren dabei im Hinblick auf die Ausbildung kreativer Kunsterzieher am wichtigsten? Was bedeutete für dich der langjährige Kontakt mit jungen Menschen?

Zdeněk Sýkora, bei Schülern und Freunden besser bekannt als „Sejda“. Es ist verwunderlich, dass sich dieses robuste Wesen, man könnte sagen dieser Renaissancemensch, dauerhaft die der Renaissance entgegengesetzte subtile Ordnung der Sprache geometrischer Elemente zu eigen gemacht hat. In diesen Rhythmen „dividueller Strukturen“ finden wir jedoch die Dialektik des geschlossenen, individuellen Bildraums und der im Inneren gegliederten, teilbaren und somit dividuellen Form. Das Bild gleicht dem heutigen Menschen, der Mensch dem Bild.

Dreiunddreißig Jahre unter der Bürde eines zwiegespaltenen Lebens: auf der einen Seite die geordnete Welt des Bildraums und auf der anderen Seite ihr Gegenentwurf, die allzu beweglichen Strukturen der Studenten, denen eine Form zu verleihen war; in all den Jahren entwickelte er einen Sinn für Methode und die Fähigkeit, seiner Berufung als Lehrer mit Einfachheit, Natürlichkeit und der provozierenden Intensität einer zielbewussten Persönlichkeit zu folgen.

Es spricht Dozent Zdeněk Sýkora: 

Ich bin auf keinen klügeren Anfang gekommen als das Studium der Natur. Allerdings ging es dabei um die künstlerische Wahrnehmung, um ihre Kultivierung. Daraus ergibt sich eigentlich schon, dass der Unterricht zwei Teile hatte: Das Studium gemäß der Wirklichkeit, bei dem die Cézanne’schen Prinzipien angewandt wurden, und gleichzeitig die Erläuterung der modernen Kunst ab der Schule von Barbizon. Hier kann ich mich mit einem Laien immer darauf einigen, was ein Bild ist, und von da kann man das künstlerische Denken bis zur Gegenwart und wieder zurück in die Vergangenheit verfolgen. Dabei war es immer weniger mein Ziel, „den Studenten das Malen beizubringen“. Es ging eher darum, dass sie überhaupt in der Lage waren, sich mit den Augen in der Welt zu orientieren.

Das Malen in der Natur war für die Kultivierung der künstlerischen Wahrnehmung am effektivsten. Bei der Abfahrt nach Třeboň, wohin wir für gewöhnlich zu den Landschaftsmalerei-Kursen reisten, waren sie noch „blind“, das heißt nur an das normale alltägliche Wahrnehmen der leeren Form, an den praktischen Nutzen der jeweiligen Sache gewöhnt. In der Natur an der Staffelei begannen sie auf einmal zu begreifen, dass es bei der künstlerischen Wahrnehmung der Welt um eine spezifische Qualität der Dinge, um die Beziehung zwischen den Dingen geht. Das hat die Studenten unglaublich bereichert. Wenn wir dann mit dem Zug zurückgefahren sind, sprachen sie selbst von all dem, und zwar mit Begeisterung.

Welche Rolle spielte bei diesem Unterricht deine eigene Erfahrung als Künstler? 

In den ersten Jahren an der Fakultät war auch für mich der Kontakt mit der Wirklichkeit entscheidend; deshalb hatte mein eigenes künstlerisches Schaffen auf den Unterricht einen so unmittelbaren Einfluss. Auch für mich war die künstlerische Umsetzung des Gesehenen ausschlaggebend. Großen Einfluss hatte dabei vor allem die Malerei von Matisse. Und auch Klee, wo ich für mich die eigentliche Bedeutung der künstlerischen Struktur entdeckte – ihre Teilbarkeit. Damals – Anfang der sechziger Jahre – gelangte ich nach einem langen Transformationsprozess zu einem eigenen Konzept konstruktivistischer Malerei mit rationaler Logik.

Es war also Klee und nicht – wie man meinen könnte – Vasarely? 

Es waren eigentlich nur ein paar Sätze aus Klees Pädagogischem Skizzenbuch /Anmerkung der Redaktion: Zdeněk Sýkora hatte vor allem folgende Passage angesprochen (in einer Übersetzung Hlaváčeks fand sie sich auch im Katalog zu Sýkoras Ausstellung in der Václav-Špála-Galerie im Jahr 1970): „Gliederungs- und Bewegungselement der Fläche ist ihre Struktur. Diese wird erkennbar als strukturaler Rhythmus, der von der primitivsten Reihung bis zu komplizierten Taktbildungen aufsteigen kann. Merkmal ist die Wiederholung einer Einheit. Man kann Teile fortnehmen oder hinzufügen, ohne den rhythmischen Charakter, der auf der Wiederholung beruht, zu verändern. Leitsatz: der strukturale Charakter ist dividuell.“ Dieses Zitat stammt in Wirklichkeit nicht direkt aus Klees Pädagogischem Skizzenbuch, sondern aus folgendem Buch von Werner Haftmann: Paul Klee, Wege bildnerischen Denkens, Fischer Bücherei KG, Frankfurt am Main und Hamburg 1961. Josef Hlaváček übersetzte einen Teil dieses Buchs ins Tschechische. In seinem Text von 2003 mit dem Titel Memories are memories (Archiv LZS) erinnert er sich: „Vladislav Mirvald schenkte mir damals die englische Übersetzung einer Paul-Klee-Monografie aus der Feder Werner Haftmanns. Mich sprach das Kapitel über das Pädagogische Skizzenbuch an, und so übersetzte ich es und bat Zdeněk Sýkora, die Übersetzung an Dr. Lamač für das Kunstmagazin „Výtvarné umění“ (Bildende Kunst) weiterzugeben. Dieser lehnte die Übersetzung ab, weil es sich um die Übersetzung einer Übersetzung handelte. Klees Ausführungen zur Entstehung einer Struktur scheinen es Sýkora – während der Busfahrten nach Prag fand er Zeit zum Lesen – aber dennoch angetan zu haben. Diese sich zufällig ergebende Anregung durch Klee beendete offenbar die Suche, die den erwähnten beiden Pfeilen gefolgt war, und gab den Startschuss zu einem riskanten und mutigen Schritt – zur Grauen Struktur.“/, sein anschauliches Verständnis der künstlerischen Struktur. Es war darin auch die Versuchung enthalten, Manipulationen mit geometrischen Zeichen in den Unterricht einzubauen, also hier die sog. Formenlehre zur Anwendung zu bringen. Dies brachte jedoch keine Ergebnisse.

Das ist eine bemerkenswerte Erfahrung. Aber warum hatte eigentlich jene berühmte Methode in diesem Fall keinen Erfolg?

Diese Methode, aus geometrischen Elementen und ihren Beziehungen Strukturen zu schaffen, setzt nämlich eine lange Entwicklung als Künstler, ein langes künstlerisches Wachstum voraus. Einfach gesagt – wenn es nicht nur eine mechanische Übung sein soll, ist das eine Angelegenheit für künstlerisch schon relativ gereifte Menschen. Nehmt zum Beispiel das Werk solcher Künstler wie Kandinsky oder Mondrian; wir wissen schließlich, was sie bereits hinter sich hatten, als sie die Prinzipien ihrer abstrakten Kunst aus geometrischen Elementen anzuwenden begannen.

Ja, auch sie hatten zunächst Erfahrungen beim Studium der Natur gesammelt. Aber kommen wir noch einmal auf deinen Malunterricht zurück. Was war die Folge dieser negativen Erfahrung, die sicherlich auch mit den realen Möglichkeiten und der spezifischen Ausrichtung des Unterrichts an der Pädagogischen Fakultät zusammenhing?

Es war eine Rückkehr zum ursprünglichen Ausgangspunkt – zum Studium der Natur, nun allerdings unter stärkerer Betonung der allgemeinen Prinzipien des künstlerischen Schaffens, dessen Voraussetzung das Bemühen um die Rekonstruktion des durch die Natur hervorgerufenen Gefühls mithilfe künstlerischer Mittel ist. Dabei droht kein Verlust an Emotivität.

Ich denke, hier nähern wir uns den psychologischen Voraussetzungen für die künstlerische Arbeit im Hinblick auf die Anleitung zu ihr. Was hältst du als Kunsterzieher in diesem Sinne für entscheidend?

Sinn der Unterrichtsmethode, die sich auf die Landschaftsmalerei und die Wahrnehmung der Wirklichkeit im Allgemeinen stützt, in dem von mir beschriebenen Sinne, geht es um die Entwicklung der künstlerischen Wahrnehmung von einem bloßen Sehen hin zu einem „starken Wirklichkeitsempfinden“, um Salcman zu zitieren. Unsere künstlerische Wahrnehmung wurde von Salcman geschult. Das war die Grundlage, der Schlüssel zu einer bestimmten Sichtweise. Was auch unser aller Ausgangspunkt war.

Ein solches Erleben besteht allerdings nicht darin, eine Sache neben einer anderen zu betrachten, von einer Einzelheit zur nächsten zu gehen, sondern es setzt voraus, dass man die Eigenschaften der Dinge als künstlerische Phänomene in ihren gegenseitigen Beziehungen wahrnimmt, es bedeutet ein simultanes Sehen. Und die Grundvoraussetzung für diese anspruchsvolle dialektische Methode der Wahrnehmung ist die Fähigkeit zu einer absoluten Konzentration. Diese habe ich immer vehement eingefordert, vor allem am Beginn des Semesters und am Beginn jeder Stunde.

Daran werden sich diejenigen, die aufmerksam waren und die Anregungen dieser anspruchsvollen, aber wirksamen Methode übernommen haben, sicherlich erinnern. Viele Absolventen der Fakultät konnten sie auch als Kunsterzieher schöpferisch umzusetzen. Und einige erzielten sogar bemerkenswerte Ergebnisse als Künstler.

Dieser Weg birgt nämlich die Voraussetzung für eine Entwicklung – entweder zurück zur Natur oder weg von ihr – je nach individueller Veranlagung. Dieser „Einblick“ hat einen Anhauch von östlicher Malerei... Es zwingt einen einfach zur Konzentration. Ansonsten haben nur wenige Menschen die Fähigkeit zur spontanen und unmittelbaren Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Von diesem Aspekt her ließe sich also der Sinn unserer Malerei ungefähr so ausdrücken: Der Mensch lernt einen Weg, Beziehungen zu beobachten. Er erkennt die Qualität der abstrahierten Rekonstruktion dessen, was er sieht. Er wird dazu angeregt, die Wirklichkeit, die er sieht, intensiv zu erleben.

Einblick in die Kunst der Vergangenheit gewannen wir durch die unmittelbare Analyse der künstlerischen Sprache und ihrer Entwicklung.

Was meinen eigenen Kontakt zu jungen Menschen angeht: Er brachte mir – neben dem bekannten regenerativen Einfluss – vor allem die wertvolle reinigende Wirkung beiderseitiger Offenheit. Ich habe mit ihnen über Dinge gesprochen, von denen ich etwas verstand und hinter denen ich immer gestanden habe. Im pädagogischen Prozess bin ich tiefer in diese Dinge eingedrungen; ich musste mich wieder und wieder damit befassen, denn etwas intellektuell zu verstehen oder es wirklich zu begreifen, sind zwei qualitativ verschiedene Dinge. Nicht nur jeder Einzelne, sondern jeder Jahrgang war für mich ein Subjekt, dem ich mich annähern musste. Und es waren nur Ausnahmefälle, in denen das nicht gelungen ist.

 

Das Interview wurde erstmals in der Zeitschrift „Estetická výchova“ (Ästhetische Erziehung) unter dem Titel „Zdeněk Sýkora 60 Kamil Linhart“ veröffentlicht, Oktober 1980, Nr. 2, S. 51–53, als Autorin war Věra Davidová aufgeführt. Das Gespräch ist im Buch Zdeněk Sýkora Rozhovory (Zdeněk Sýkora Interviews) zu finden. 

Jiří David (1933–2014), Kunsterzieher, Ästhetiker und Kunsttheoretiker. Er war unter anderem Schüler von Martin Salcman, aber auch von Zdeněk Sýkora und Kamil Linhart, die während seiner Studienzeit Assistenten an der Pädagogischen Fakultät der Karlsuniversität waren. In den siebziger und achtziger Jahren durfte er aus politischen Gründen nicht publizieren, weshalb seine Texte unter dem Namen seiner Frau Věra Davidová veröffentlicht wurden. Nach 1989 kehrte er an die Hochschule zurück und wurde Professor für Ästhetik an der Pädagogischen Fakultät Hradec Králové und später an der Pädagogischen Fakultät der Jan-Evangelista-Purkyně-Universität Ústí nad Labem. In den achtziger Jahren und Anfang der Neunziger beschäftigte er sich mit dem Werk Zdeněk Sýkoras. Er schrieb eine monografische Studie, die unter dem Titel Zahrady bdělých smyslů, Poetika nové duchovní senzibility v obrazech Zdeňka Sýkory (Ein Garten der wachen Sinne. Die Poesie der neuen spirituellen Sensibilität in den Bildern Zdeněk Sýkoras) im Rahmen einer Aufsatzreihe aus seiner Feder erschienen ist: Století dítěte a výzva obrazů (Das Jahrhundert des Kindes und die Herausforderung der Bilder), PedF MU Brno 2008.